Die Rose von Angelâme (German Edition)
gegangen war. Der König hatte dies bemerkt und ihn nach seinem Mittagsmahl zu sich in sein Arbeitszimmer gerufen.
„Was ist los mit Euch, dass Ihr heute so zerstreut seid?“, fragte ihn Philipp, ohne ihm einen Platz zum Sitzen angeboten zu haben.
„Verzeiht, Sire, wenn ich Euch unaufmerksam erscheine. Ich fühle mich nicht wohl.“
Philipp nickte schweigend. Er schien zu ahnen, was seinen Kanzler beschäftigte, und keine Lust zu haben, sich damit auseinanderzusetzen. Schließlich würde eine Erfüllung des ersten Teils der Prophezeiung dessen, was de Molay auf dem Scheiterhaufen ausgerufen hatte, nicht nur zur Folge haben, dass auch seine, Philipps, Tage gezählt waren. Es würde dem Volk unabhängig davon auch die Richtigkeit der letzten Worte des Großmeisters bestätigen, was den Orden der Templer betraf.
Philipp wusste, das Volk vergaß nichts.
Die Nachricht vom Tode Papst Clemens V. traf am frühen Morgen des kommenden Tages ein. Der Pontifex Maximus von König Philipps Gnaden war am Vortag in Avignon an den Folgen einer Darmkrankheit dahingeschieden, mit der er sich bereits seit Wochen herumgeplagt hatte.
De Nogaret bemühte sich, das Ganze in der Folgezeit für sich als Zufall abzutun, und nicht darüber nachzudenken, ob sich auch der andere Teil der Prophezeiung des Templers bewahrheiten würde, die den König betraf. Er nutzte seine inzwischen weiter ausgebauten Verbindungen dazu, doch noch hinter das Geheimnis zu kommen, das de Molay hoffentlich nicht auch mit in die Ewigkeit genommen hatte. Der Kanzler und Großsiegelbewahrer des Königs hatte inzwischen aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass einige der Männer de Molays sofort nach dem Autodafé, dem sie unerkannt mitten im Volke beigewohnt hatten, auf Schiffen aus Frankreich verschwunden und nach Schottland geflüchtet waren. Dort hatten sich angeblich erneut neun Brüder zusammengefunden und in aller Heimlichkeit die Arbeit des Ordens wieder aufgenommen.
In aller Heimlichkeit! De Nogaret lachte grimmig. Nichts war vor ihm zu verheimlichen, absolut nichts.
Er wusste zum Beispiel, dass vor der Küste Frankreichs ein Schiff im Sturm gesunken war, welches wenigstens siebzig geflohene Ordensbrüder an Bord hatte, von denen es keine Spur mehr gab. Er wusste auch, dass diese Männer niemals eine Chance gehabt hatten, das rettende Ufer Englands zu erreichen, mit oder ohne Sturm.
Sollten die übrigen Verrückten in Schottland ihre alten Spielchen treiben, ihre seltsamen Rituale abhalten, ihren Mysterien frönen - es war ihm gleichgültig, so lange sie sich in ihren Aktivitäten auf die Schottischen Hochländer beschränkten.
Was ihn wurmte war, dass diese Männer sich vermutlich über den Tölpel de Nogaret lustig machten, der nach einem Geheimnis suchte, das sie womöglich mitgenommen hatten. Denn er war sich in seinem Wahn ganz sicher, dass sie um sein Bestreben, dieses Geheimnis zu lüften, wussten. De Nogaret glaubte allen Ernstes, sie hätten es sich zur Lebensaufgabe gemacht, ihn an der Erfüllung seines Wunsches zu hindern.
Verdammt sollte sein, wer die stolze Burg derer zu Angelâme in Flammen hatte aufgehen lassen! Damit waren seine Möglichkeiten in weite Ferne gerückt, dort nach seinem Gral zu suchen und sein Seelenheil zu finden. Denn dass es nicht der Teufel war, der hinter dem verheerenden Brand gesteckt hatte, war de Nogaret sofort klar gewesen, als er davon erfuhr. Er glaubte nicht an solche Geschichten, er glaubte eher an Männer in schwarzen Mänteln, die verflucht sein sollten, wenn sie Feuer an die Burg gelegt hatten, um ihre schutzlosen Bewohner zu vernichten.
Da war außerdem noch der König selbst, dessen mehr als frostige Haltung ihm und seinen treuesten Mitarbeitern gegenüber de Nogaret zu denken gab. Seitdem die Vernichtung der Templer dem Monarchen sicher war, distanzierte er sich mehr und mehr von seinem Kanzler. De Nogaret musste immer häufiger erleben, dass er nicht vorgelassen, sondern immer wieder mit den fadenscheinigsten Begründungen auf den nächsten Tag oder einen noch späteren Zeitpunkt vertröstet wurde.
Sollte er, sein Kanzler und Großsiegelbewahrer, der so viele Jahre treu des Königs ergebenster Diener gewesen war, für jenen überflüssig, ja vielleicht sogar lästig geworden sein, nachdem er seine Schuldigkeit getan hatte? Denn de Nogaret war nicht entgangen, dass auch die Sterne de Plaisians und de Martignys aufgehört hatten, im Umfeld Philipps zu leuchten. Philipp hatte andere Männer um
Weitere Kostenlose Bücher