Die Rose von Angelâme (German Edition)
…“
„Wie?“
„… ich habe die Boote verhext, damit die Fischer mit leeren Netzen nach Hause kommen.“
„Ah! Ihr habt es alle gehört!“, triumphierte der Richter. „Sie hat zugegeben, die Boote verhext zu haben!“
„Nein!“, schrie Isabelle verzweifelt und versuchte, die Handfesseln loszuwerden. „Ich habe nichts dergleichen zugegeben! Ihr habt von mir verlangt, dass ich die Anschuldigungen gegen mich wiederhole!“
„Seht Ihr?“, fragte der Richter mit beschwörender Stimme und hob anklagend den rechten Zeigefinger. „Sie scheint von einem Dämon besessen zu sein, so, wie sie sich gebärdet!“ Als er sicher war, dass seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten, fügte er noch hinzu: „Sie hat sich nicht nur gegen euch alle hier, die ihr vom Fischfang lebt, versündigt, sondern auch gegen die heilige Katholische Kirche!“
„Wer gibt Euch das Recht, so etwas zu behaupten?“ Pierres Stimme übertönte den Tumult, der plötzlich entstanden war, und die Menschen drehten sich erstaunt nach ihm um. Eine Gasse tat sich auf, durch die er auf den Richtertisch zuging. Auch Isabelle hatte sich umgedreht und sah ihm mit überrascht aufgerissenen Augen ins Gesicht.
„Pierre.“ Ihre blassen Lippen formten tonlos seinen Namen.
„Sagt schon: wer?“
Der Richter suchte mit Blicken nach Unterstützung in der Bevölkerung, die jedoch in gebanntem Schweigen verharrte.
„Das sieht man doch!“, sagte er schließlich. „So, wie dieses Weib sich hier gebärdet …“
„Daran kann ich nichts Außergewöhnliches sehen“, antwortete Pierre ungerührt. „Zumindest reicht es nicht aus, einem Vertreter des Königreiches der Franken, der Ihr doch seid, das Recht zu geben, einen Umstand festzustellen, den doch lediglich die Kirche erkennen darf!“
Der Richter lachte.
„Wer seid Ihr, dass Ihr mir sagt, was mir zusteht und was nicht?“
„Wer seid Ihr, dass Ihr Euch hier zum Richter macht?“
Ein Murmeln ging durch die Reihen der Umstehenden.
„Ich bin Richter durch ein Dekret Louis X. von Frankreich.“
„Ah! Louis ist seit Juli letzten Jahres tot! Hat sein Bruder, Philipp V. Euch in Eurem Amt bestätigt?“ Pierre wusste sehr wohl, dass er sich auf ausgesprochen dünnem Eis befand, aber er musste es wagen.
„Nun ja …“
„Sicherlich hat Euch auch die Kirche ein Ermächtigungsschreiben überlassen, nach dem Ihr in ihrem Namen Dämonen erkennen könnt? Dann zeigt es uns! Oder …“ Er beugte sich über den provisorischen Tisch und kam ganz nahe an den Richter heran, der immer mehr vor ihm zurückwich, und sich nur noch mühsam auf seinem Schemel halten konnte. „Oder ist es so, dass Ihr den Dämon in dieser Frau erkennt, weil Ihr selber einen in Euch tragt, der den Bruder erkannt hat?“
Das Murmeln der Umstehenden wurde lauter, und der Richter schwieg betroffen.
„Nun?“
„Ich schlage vor, wir lassen Gott entscheiden!“, rief der Richter, sichtlich froh über diesen Geistesblitz, und erhob sich.
„Gott? Ihr wollt Gott entscheiden lassen?“ Pierre kannte diese sogenannten Gottesurteile zur Genüge. Überlebten die Delinquenten die ihnen auferlegten Prüfungen, steckte gewiss der Teufel dahinter, überlebten sie nicht, war die Sache ohnehin klar. In beiden Fällen endeten diese Gottesurteile mit dem Tod.
„Jawohl: Gott!“, rief der Richter aus, der wieder festen Boden unter den Füßen gewonnen zu haben glaubte. „Oder wer sonst hat diese alte Jungfer dazu veranlasst, einen rechtschaffenen Mann von der Tür zu weisen, der sie seit Jahren zum Weibe nehmen will? Der Unaussprechliche vielleicht? Treibt sie es des Nachts mit ihm als Buhle?“ Seine Augen blitzten zornig in die Runde. „Dann erst recht wird Gott uns sein Urteil wissen lassen! Oder zweifelt hier irgendjemand an der Richtigkeit einer Entscheidung des Allerhöchsten?“ Seine Stimme überschlug sich fast vor Eifer.
Ach, so war das! Ein zurückgewiesener Liebhaber rächte sich. Pierre schäumte vor Wut. Auch solche Fälle waren ihm hinlänglich bekannt.
„Ich nehme an“, sagte er jedoch ruhig und beugte sich erneut über den Richtertisch zu dem Manne, der sich inzwischen wieder auf seinem Dreibein niedergelassen hatte, „der rechtschaffene Mann, von dem Ihr sprecht, ist hier?“ Dabei tippte er dem Richter auf die Brust.
Das Schweigen um ihn herum war fast greifbar.
„Das tut nichts zur Sache!“ Der Richter stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte, während er sich erhob, und sein Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher