Die Rose von Angelâme (German Edition)
Freudenschrei über ihre Antwort ließ ein Lächeln über die Gesichter der einfachen Fischer huschen, die noch immer beieinandergestanden und ihnen nachgeschaut hatten.
Drittes Buch
Angelâme, im Jahre des Herrn 1840
Maries stolze Haltung, mit der sie hinter dem Sarg ihres Vaters zu dessen letzter Ruhestätte schritt, blieb vielen im Ort noch lange in Erinnerung. Ihre kupferfarbenen Locken lugten vorwitzig unter der schwarzen Spitze hervor, mit der sie ihren Kopf bedeckt hatte. Ihre klaren, grünbraunen Augen unterstrichen ihr blasses, mit feinen Sommersprossen übersätes Gesicht, ihr Mund unter dem leicht geröteten Näschen war so fest geschlossen, dass ihre Lippen fast weiß wirkten. Sie hielt ihr Kinn leicht hochgereckt – unschicklich in den Augen der vor allem weiblichen Trauergäste, die sie aufmerksam hinter ihren Schleiern und Tüchern beobachteten.
Es schien, als würde sie in diesen Augenblicken dem Tod trotzig entgegentreten, der ihr vor vielen Jahren zuerst die Mutter und jetzt auch noch den Vater genommen hatte.
Kaum schien sie Notiz von dem jungen Mann zu nehmen, der in auffallend trauernder Haltung neben ihr ging, so, als würde man seinen und nicht ihren Vater zu Grabe tragen. Merkwürdigerweise ging ihr gerade jetzt durch den Sinn, dass sie auf diesen Mann in Zukunft verzichten wollte.
Ein ungeheuerlicher Gedanke für eine Frau ihres Standes. Sie waren schließlich seit einem halben Jahr miteinander verlobt.
Allerdings war dieses Verlöbnis hauptsächlich auf Drängen der Familie ihres Bräutigams zustande gekommen, und da sie für den jungen Mann eine gewisse Sympathie empfand, hatte sie keine Veranlassung gesehen, sich diesen Wünschen entgegenzustellen. Zumal es schien, als läge auch ihrem Vater aus verschiedenen Gründen etwas daran, eine Verbindung mit dem Hause des zukünftigen Schwiegersohnes einzugehen – stammte er doch aus einer nicht unbedeutenden Seitenlinie der Kapetinger, einem alten französischen Königsgeschlecht.
Jene waren zwar seit der erst vor wenigen Jahrzehnten abgeschlossenen Revolution und ihrer Opfer politisch längst nicht mehr wichtig, aber immerhin entstammten dieser Familie dereinst die bedeutendsten Könige des alten Frankenreiches.
Darüber hinaus sah Jean-Philippe blendend aus, und Marie wusste, dass ihm eine ansehnliche Reihe heiratsfähiger Töchter aus mehr oder minder gutem Hause auf Anraten ihrer Mütter schöne Augen gemacht hatten. Eine der edlen Damen war sogar so weit gegangen, ein Sommerschlösschen in der Nähe des Stammsitzes von Jean-Philippes Familie zu kaufen, um sich dort sozusagen aus nächster Nähe an den Heiratskandidaten heranzumachen.
Es hatte nicht lange gedauert, und das Schloss stand wieder zum Verkauf.
Da gab es noch etwas, das außer dem blendenden Aussehen dieses hoffnungsvollen Sprosses eines so interessanten Stammbaums nennenswert wäre:
Das Vermögen von Jean-Philippes Familie war nicht unerheblich.
Was hinter vorgehaltener Hand wohl einer der Gründe dafür gewesen sein dürfte, warum die eine oder andere Mutter ihre Tochter unbedingt mit dem gut aussehenden jungen Mann verbandelt sehen wollte.
Allerdings war dieses Vermögen - grob geschätzt - nicht einmal halb so groß wie das der jungen Angelâme. Umstände, die die zurückgewiesenen Familien - vor allem die Mütter, die sich gleichsam mit ihren Töchtern enttäuscht fühlten - dazu veranlassten, sich tuschelnd darüber auszulassen, dass das Verhalten der Angelâmes unerhört sei. Man verheiratete seine Tochter doch nicht unter dem Wert seines eigenen Vermögens!
Doppelzüngige Schlangen!
Darüber hinaus jedoch schien Maries bevorstehende Ehe eine von allen maßgeblichen Seiten mit Wohlwollen betrachtete Angelegenheit zu sein, deren Verwirklichung von der jungen Braut zunächst kaum mit ernsthaften Zweifeln bedacht wurde.
Aber jetzt, nach des Vaters plötzlichem Tod, schien zumindest die Notwendigkeit kindlichen Gehorsams der väterlichen Entscheidung gegenüber nicht mehr gegeben. Marie wollte und würde einen akzeptablen Weg finden, eine Heirat mit ihrem Noch-Bräutigam zu umgehen, ohne dadurch einen Skandal auszulösen und ihrer möglichen späteren Heirat mit einem anderen Mann Hindernisse in den Weg zu legen.
Ein wichtiger Aspekt immerhin!
Im Laufe der Zeit hatte sie - mehr oder weniger bewusst - eine gründliche Aversion gegen die Art des jungen Mannes entwickelt, sich seinem Umfeld so zu präsentieren, dass es ihm - vorsichtig ausgedrückt –
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