Die Rose von Angelâme (German Edition)
geschenkt.“
„Meinetwegen saßet Ihr am Strand? Warum dort?“
„Er sagte mir, Ihr seid bei den Schotten. Dort.“ Sie zeigte auf das Meer. „Ich wusste so sicher, Ihr kommt eines Tages wieder“, fuhr sie fort. „Seit er es mir versprochen hat.“
„Er?“
„Henri.“
„Henri?“
„Henri le Loup.“
„Henri le Loup hat Euch versprochen, dass ich komme?“ Pierre sah ungläubig zu ihr auf.
„Er ist mein Vater.“
„Euer Vater? Henri ist …?“
Langsam begann er zu begreifen.
„Die Leute aus dem Gasthause haben mich großgezogen, als meine Mutter starb und mein Vater eine Amme für mich brauchte. Er stammt aus diesem Ort, müsst Ihr wissen. Die beiden, die ich als Eltern kannte, sind entfernte Verwandte. Sie kümmerten sich all die Jahre um mich wie um ihre eigene Tochter.“
„Henri le Loup also.“ Pierre schüttelte fassungslos den Kopf. Jetzt verstand er den vollen Umfang dessen, was der Großmeister ihm anraten hatte lassen, und welchen Weg er einschlagen sollte. „Deshalb ließ er mich wissen, dass ich meine Gelübde überdenken müsse.“
Isabelle wusste nicht, wovon er sprach und lächelte zu ihm hinunter.
„Die Fischer und ihre Familien haben Euch sofort wieder erkannt, Pierre. Sie haben niemals vergessen, wie mutig Ihr wart, als Ihr die Toten aus dem Meer bargt.“
„Aber es waren doch nicht ihre Toten“, wandte Pierre ein.
„Alle, die das Meer anspült, sind unsere Toten.”
„Das meinte ich nicht.“
„Es waren Männer der Bruderschaft.“
„Woher wusstet ihr das?“, fragte er überrascht.
„Wir kennen die Zeichen. Außerdem waren wir ihnen sehr verbunden.“
„Wie das?“
„Sie haben uns, ohne Gegenleistung zu fordern, Geld überlassen, als wir dereinst in großer Not waren und sie um Hilfe gebeten haben.“
„Ich verstehe.“
„Sie wollten das Darlehen niemals zurückhaben.“
„Warum nicht?“
Pierre führte das Pferd aus dem Dorf und lenkte es auf die Hauptstraße.
„Weil Henri es so wollte.“
„Henri.“
Pierre schwang sich hinter sie in den Sattel. Er sah über das flache Land, sah auf das Dorf, das sie gerade verlassen hatten, spürte den Körper der Frau vor sich und wusste plötzlich, wie sein weiteres Leben aussehen würde. Er hatte immer dazugehören wollen, hatte alles dafür getan, alles gegeben, alles ertragen, was man von ihm forderte.
SaintMartins Worte klangen in seinen Ohren.
Niemand hatte jemals von ihm das Gelübde der Keuschheit verlangt, welches er sich selber auferlegt hatte.
Niemand hatte jemals das Opfer von ihm gefordert, ehelos zu bleiben und keine Kinder zu haben.
Niemand anderer als er selber hatte sich das alles angetan.
Der Geruch der Angst, der noch in den Kleidern Isabelles hing, stieg ihm in die Nase und erinnerte ihn an eine andere Frau, die ebenso viel Angst gehabt hatte. Nein, er musste nichts mehr überdenken. Er war nicht mehr der Rezipiendus, der gehorsam seine Pflichten erfüllte, weil er sich damit die Aufnahme in diesen längst ausgelöschten Orden erhoffte.
Er wusste, wohin er gehören wollte.
Er war blind gewesen und hatte nicht gewagt, seinen Empfindungen zu trauen. Wer hatte das einmal in einem anderen Zusammenhang zu ihm gesagt?
Es war ihm niemals klarer gewesen als in diesem Augenblick, dass er seinen Beitrag dazu leisten musste, das Geheimnis zu schützen, welches man ihm zum Teil erschlossen hatte. Dessen Tragweite er mehr ahnte als wusste. Er würde dafür sorgen, dass es Kinder und Enkel und noch viele weitere Generationen nach ihm geben würde. Generationen, die seine und die Aufgabe Henri le Loups übernehmen würden bis zu dem Tag, an dem sich das Wort erfüllen sollte. Wann auch immer dieser Tag anbrechen mochte und was auch immer sich dann erfüllte.
Das war es, wofür er all die Jahre gelebt, gekämpft und gelitten hatte. Jahre, die er bisher als verloren glauben musste, und die er jetzt in einem anderen Lichte sah. Er hatte von Anfang an eine Aufgabe zu erfüllen gehabt. Jetzt wusste er, was für eine Aufgabe das war.
Pierre schloss beide Arme um Isabelles Taille, genoss ihre erregende Nähe und holte tief Luft:
„Isabelle, willst du meine Frau werden?“
„Ich bin schon zu alt!“
„Wir werden Kinder haben, Isabelle.“
„Kinder?“
„Henri le Loup wird Enkelkinder haben.“
„Oh.“
„Ich will die Frau heiraten, die ich seit über einem Jahrzehnt liebe und begehre. Deshalb frage ich dich noch einmal: Isabelle, willst du meine Frau werden?“
Sein
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