Die Rose von Angelâme (German Edition)
näherte sich dem Pierres bis auf wenige Zentimeter. „Ihr könnt mir sicherlich sagen, wer Euch ermächtigt, dieses Gericht auf so unglaubliche Weise zu stören?“
Pierre packte ihn beim Kragen.
„Wenn Ihr Euch nicht augenblicklich auf Euren schäbigen Gaul setzt und unverzüglich diesen Ort verlasst, garantiere ich Euch, dass Ihr nicht nur eine Antwort auf Eure Frage bekommt, die Euch die Lust am Leben nimmt, ich garantiere auch dafür, dass dieses Leben schnell zu einem Ende kommen wird!“
Der Richter hielt den Atem an.
„Kein Weib ohne den Schleier und den Schutz der Kirche schafft es, ohne Hilfe des Unaussprechlichen so lange unberührt zu bleiben“, keuchte er schließlich. „Ich verlange ein Gottesurteil.“
„Wenn Ihr Euch schon anmaßt, die Rechte der Kirche zu vertreten“, schnaubte Pierre, „dann sagt mir hier vor diesen Leuten: Was ist eher das Werk des Teufels: Keuschheit oder Hurerei?“
„Ihr seid es, der sich etwas anmaßt!“, fuhr der Richter auf, aber Pierre verstärkte den Griff an seinem Kragen.
„Geht, oder ich breche Euch eigenhändig das Genick“, flüsterte er heiser.
„Das Gottesurteil!“, rief plötzlich jemand aus der Menge.
„Sei still, du Bastard!“, ertönte die schrille Stimme eines Weibes, und unmittelbar danach ein Laut, wie ihn getretene Hunde von sich geben.
Der Richter gab nach.
„Ich gehe“, keuchte er mit einem bösen Seitenblick auf Isabelle. „Aber ich komme auf alle Fälle wieder“, drohte er. „Und ich bringe …“
Pierre unterbrach ihn mit einer weit ausholenden Geste, dass der Mann vor ihm in Erwartung eines Schlages zusammenzuckte.
„Ich rate Euch, sehr weit zu gehen, und die Leute hier für alle Zeiten in Ruhe zu lassen. Außerdem mache ich Euch einen Vorschlag: Ich sorge persönlich dafür, dass diese Frau aus dem Ort verschwindet, und zwar für immer. Dann können die Fischer beruhigt ihre Netze auswerfen, und Ihr habt Euren Seelenfrieden wieder. Denn Ihr seid doch ein Richter im Namen des französischen Volkes und wollt lediglich, dass der Missstand aufhört, der hier zur Anklage steht?“
„Nun ja …“
„Wie es unser König befohlen hat?“
„Ihr seid ein gerissener Hund, Fremder. Aber gut, wenn Ihr mir versprecht, dass diese Frau nie wieder Schaden anrichtet, lasse ich die Anklage fallen.“
Pierre horchte auf.
„Ihr lasst die Anklage fallen? Das heißt, der Richter selber hat diese Anklage erhoben?“ Seine Stimme knallte wie ein Peitschenschlag.
Er zog ihn am Kragen fast über den Tisch. Dann wandte er sich zu den übrigen Leuten um und zeigte mit dem Finger auf das rot angelaufene Gesicht des Richters. „Habt ihr das gehört? Er ernennt sich zum Richter und hat Anklage in eigener Sache erhoben! Wisst ihr, was im Lande der Franken mit solchen Männern geschieht, wenn das Volk ihrer habhaft wird?“
Die Menschen, die bislang atemlos zugehört hatten, drängten sich mit immer lauter werdenden Protesten zum Richtertisch vor. Ein Schauspiel war so gut wie das andere. Pierre hob die Hand.
„Ich denke, ich spreche in eurem Namen, wenn ich sage: Die Anklage dieses Richters ist null und nichtig. Er hat sie lediglich dazu verwenden wollen, sich an der Frau zu rächen, die ihn nicht erhörte.“
Ein lautes Stimmengewirr erhob sich erneut, das Pierre sich zunutze machte.
„Hörst du, Richter? Die Leute hier lassen Gnade vor Recht walten, und vergessen dieses seltsame Schauspiel, das du aus niedrigen Motiven eingefädelt hast. Aber ich rate dir, umgehend zu verschwinden, bevor es sich diese Menschen hier anders überlegen!“
Der Richter wand sich aus seinem Griff, suchte eilig seine paar Sachen zusammen und machte sich aus dem Staub, bevor die Bewohner des Ortes recht begriffen, was geschah.
Pierre nützte diesen Augenblick der plötzlich entstandenen Ratlosigkeit unter den Umstehenden, nahm Isabelle am Arm und zog sie zur Seite. Dort durchtrennte er ihre Fesseln mit seinem Messer und fasste sie unter den Armen, um sie auf sein wartendes Pferd zu heben. Isabelle saß mit hängenden Schultern auf dem Rücken des Tieres und starrte fassungslos auf ihn hinunter.
„Pierre. Dass Ihr endlich zurückgekommen seid“, flüsterte sie.
„Endlich zurückgekommen?“, wiederholte er überrascht.
„Warum, glaubt Ihr, saß ich täglich am Strand und habe auf das Meer hinausgeschaut? Dass die Fischer keine Fänge mehr nach Hause brachten, lag nicht an mir. Sie wissen es, aber man hat ihnen weder Gehör noch Glauben
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