Die Rose von Angelâme (German Edition)
gedachte.
SaintMartin grollte dem ehemaligen Großmeister längst nicht mehr, da er wusste, wie aufrichtig de Molays Glaube an seinen Papst gewesen war, hatte aber damals mit Henri vereinbart, dass jener sich für alle Fälle bereithielt, sollte Unvorhergesehenes eintreten. Als die Verhaftungen bekannt wurden, standen mehrere tausend Ritter unter dem Befehl der Bruderschaft de Saint-Germain-des-Prés in den umliegenden Ländern bereit, Frankreich anzugreifen, und die Templer aus den Gefängnissen zu befreien. Dazu sollte es aber aus Gründen nicht kommen, die SaintMartin nicht näher beschrieb, wie er auch den Umstand niemals erwähnte, der ihn selbst aus seinem Gefängnis freikommen ließ.
Er war schließlich zugegen, als de Molay auf dem Scheiterhaufen starb, und holte unerkannt ein Restchen verkohlter Knochen aus der Glut, das er mitnahm und an nur ihm bekannter Stelle in allen Ehren begrub.
Dann begab er sich zu Henri, von dem er weitere Instruktionen erhielt, und machte sich auf den Weg nach Schottland, bevor der König überhaupt merkte, dass noch einige der Brüder übrig geblieben waren. Hier, am Ende der Welt, wie Pierre es genannt hatte, lebten noch Brüder des schottischen Ordens, denen niemand auch nur ein Haar gekrümmt hatte. Der Erlass des Papstes, wonach den Templern Hab und Gut genommen und sie selber eingesperrt werden sollten, war im Norden der Insel lediglich auf Unverständnis gestoßen. König und Volk der Schotten waren unter Robert the Bruce exkommuniziert worden, da sie sich erdreistet hatten, ihre Waffen gegen Eduard II zu erheben. Was scherte sie eine Anordnung des Papstes!
SaintMartin gehörte von dem Tag an zu ihnen, als er jenes Tor durchschritt, vor dem er Pierre erwartet hatte.
„So hast du unweit von mir dem grausamen Spektakel beigewohnt, das sich der König für unseren ehrwürdigen Herrn und Großmeister ausgedacht hatte“, überlegte Pierre.
„Oh, ich habe dich niemals aus den Augen verloren, Bruder. Denn schließlich war ich es ja, der dich für die Aufgaben ausgewählt hat, die du bis zum heutigen Tage erfüllst.“
„Nicht immer mit ganzem Herzen“, gab Pierre zu, und SaintMartin wusste, was er damit meinte.
„Ich kenne deinen Wunsch, den du seit so vielen Jahren hegst, und biete dir jetzt die Möglichkeit an, entweder für die Sache der Bruderschaft Saint-Germain-des-Prés in Frankreich tätig zu sein, oder dich den Brüdern hier anzuschließen und im Kloster zu bleiben. Beides ist in meinem Sinne.“
Pierre, der so vollkommen unerwartet das Ziel seiner Träume zum Greifen nahe sah, hatte plötzlich Zweifel, die er dem Freund anvertraute.
„Ich verstehe dich gut, Bruder, der du mir immer sein wirst“, antwortete ihm jener, und in einem Anfall prophetischer Weitsicht fuhr er fort: „Die Zeit ist nicht fern, wo Menschen sich gegen die Kirche erheben und deren Gesicht verändern werden, weil sie nicht länger mit ansehen wollen, dass Männer wie Clemens V. und etliche seiner Vorgänger nur ihrem eigenen, nicht aber dem Wohle der Christenheit und der Seelen dienen, die dem Herrn geweiht sind seit ihrer Taufe.“ Er lächelte bei dieser Vorstellung, fügte dann aber ernster hinzu: „Dies dürfte allerdings eine erneute Welle des Mordens und Folterns auslösen, da die Kirche niemals freiwillig Pfründe aufgibt, die sie sich mühsam erworben hat. Sie wird weiter brennen und vernichten, was sich gegen sie stellt; gebe Gott, dass das die braven Männer und Frauen jener Zeit nicht daran hindert, ihr Werk zu vollenden und die Kirche in die Hände derer zu legen, denen sie eigentlich gehört: den Christen.“
Pierre hob seinen Becher.
„Möge das alles geschehen, damit die Saat aufgehe, die im guten Sinne gesät wurde!“
„Da gibt es allerdings etwas, das mich interessiert“, sagte SaintMartin und legte seinen Arm um die Schulter des Freundes.
„Nämlich?“
„Was auch immer dich dazu bewogen haben mag, deinen Gelübden treu zu bleiben - die niemand jemals von dir verlangt hat - glaubst du nicht auch, es wird Zeit, diese neu zu überdenken?“
„Wie kommst du darauf?“
„Ich sagte dir bereits: Ich habe dich niemals aus den Augen verloren“, antwortete SaintMartin mit einem fröhlichen Augenzwinkern.
Pierre starrte vor sich hin. Die ganzen Jahre über hatte er eisern durchgehalten, hatte alles getan, was man von ihm verlangte, um seinen Kindheitswunsch in Erfüllung gehen zu lassen: zu diesen Rittern zu gehören.
Vater und Bruder hatte er an sie
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