Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rose von Angelâme (German Edition)

Die Rose von Angelâme (German Edition)

Titel: Die Rose von Angelâme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Mayer
Vom Netzwerk:
verloren und deshalb niemals erfahren, wie es ist, eine Familie zu haben. Er hatte fleißig gelernt, wie es ihm die beiden vor ihrem Aufbruch angeraten hatten. Er hatte sein Familienerbe an die Mönche verloren, die vorgaben, es ihnen für seine Ausbildung, Kost und Logis schuldig zu sein. Er hatte reiten und fechten gelernt, hatte sich in den Hof des Königs als Spitzel einschleusen lassen, hatte jene Frau aus den Fängen der Inquisition befreit, die er später doch auf dem Weg zum Scheiterhaufen begleiten musste, und – er hatte maßgeblich dazu beigetragen, dem Leben seines Königs ein Ende zu setzen.
    Alles nur, um eines Tages den hellen Mantel mit dem roten Kreuz tragen zu dürfen? Oder: um endlich zu erfahren, was für ein Geheimnis alle diese Männer wohl kannten, welches ihm bislang jedoch verborgen geblieben war?
    Pierre sah SaintMartin an.
    „Du hast mich Bruder genannt“, sagte er schließlich. „Alle hier haben mich aufgenommen wie einen der ihren.“
    „So ist es.“
    Dann habe ich alles erreicht, was ich wollte, ging es Pierre durch den Sinn.
    „Ich möchte deinen Ring behalten“, sagte er unvermittelt und streckte SaintMartin seine Hand entgegen, an der das Kleinod steckte, das ihn so lange Jahre begleitet hatte.
    „Er gehört dir.“
     
    Als Pierre ein halbes Jahr später die Komturei in Schottland verließ, wo er fortan lauter zuverlässige Freunde und einen Bruder wusste, hatte er sich aus nicht nur einem guten Grund dafür entschieden, für die Sache der Geheimen Bruderschaft Saint-Germain-des-Prés unter seinem neuen Namen Pierre Loupin nach Frankreich zurückzukehren.

Paris im Jahre des Herrn 1317
    Pierre beeilte sich, an die Tür zu kommen. Ein Bote stand davor und überreichte ihm kommentarlos einen versiegelten Brief. Pierre kannte die Handschrift: Sie gehörte Henri le Loup.
    Der Inhalt des Briefes war knapp. Pierre starrte minutenlang auf die wenigen Worte, die vor seinen Augen zu verschwimmen drohten, dann traf er Anstalten, unverzüglich aufzubrechen.
    Er erreichte Honfleur am nächsten Tag und kam gerade noch rechtzeitig, um mit anzusehen, wie Isabelle, die Tochter seines ehemaligen Wirts, vor einen Richter geführt wurde. Jener hatte einen behelfsmäßigen Tisch auf dem Dorfplatz aufgestellt, hinter dem er auf einem dreibeinigen Schemel saß.
    „Was wirft man ihr denn vor?“, fragte Pierre atemlos einen der umstehenden Fischer, als er vom Pferd gestiegen war und sich unter die Leute gemischt hatte.
    Der zuckte gelangweilt mit den Schultern: „Teufelszeug.“
    „Was für Teufelszeug denn?“
    „Sie hat angeblich die Boote verhext!“
    „Die Boote?“
    „Ja, die Boote. Seit Monaten ist den Fischern kaum noch etwas in die Netze gegangen. Das soll angeblich sie gemacht haben.“ Er zeigte mit ausgestreckter Hand auf Isabelle, die mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen vor dem Richter stand.
    „Wie hat sie das gemacht?“, fragte Pierre schärfer, als ihm lieb war.
    „Das weiß ich nicht. Ich weiß nur: Sie saß jeden Abend da unten am Meer, und der Richter sagt, sie habe dabei die Boote verhext.“
    Pierre drängte sich zwischen den wortlos Dastehenden hindurch und blieb unweit des Richtertisches zwischen den Bürgern von Honfleur stehen, die gekommen waren, an dem Schauspiel teilzuhaben, das sich ihnen bieten würde. In ihren Gesichtern hatte er Verständnislosigkeit entdeckt, aber auch Neugier und eine gehörige Portion Angst.
    „Warum gibst du nicht einfach zu, was dir vorgeworfen wird?“, fragte der Richter gerade, und Pierre nahm fassungslos zur Kenntnis, wie die Augen des dreisten Kerls unverhohlen an der Gestalt der nicht mehr ganz jungen Frau entlang glitten. Dieser Blick war ihm hinreichend bekannt, und eine ohnmächtige Wut stieg in ihm hoch.
    „Es gibt nichts zuzugeben“, antwortete Isabelle leise. „Ich habe nichts getan.“
    Eine schlimme Erinnerung an ein anderes Verhör kroch in Pierre hoch, und er spürte, wie gleichzeitig eine nicht zu bändigende Wut sich seiner ermächtigte.
    „Du weißt, was dir vorgeworfen wird?“
    „Ja.“
    „Ja? Ich will es von dir hören!“
    „Ich soll …“
    „Ich will, dass du die Anklage wiedergibst, die gegen dich erhoben wurde!“
    „Nun, die Anklage lautet, dass ich die Boote verhext habe, damit die Fischer mit leeren Netzen nach Hause kommen“, antwortete Isabelle müde.
    „Lauter! Wie lautet die Anklage? Du kennst sie wörtlich! Los, sag es: Ich habe … Nun?“
    „Die Anklage lautet

Weitere Kostenlose Bücher