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Die Rose von Angelâme (German Edition)

Die Rose von Angelâme (German Edition)

Titel: Die Rose von Angelâme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Mayer
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noch gebildet sein?“ Er bedachte sie mit einem so entwaffnenden Blick, dass sie ihm nicht konterte. „Verzeiht meine Offenheit, Demoiselle. Aber Ihr scheint wirklich wenig Ahnung von der Welt der Leute da draußen zu haben.“ Er zeigte zum Gartenfenster.
    „Das ist möglich“, entgegnete sie kühl. Bei einem schnellen Seitenblick zu jenem Fenster jedoch wurde ihr bewusst, dass dort der Ausgangspunkt ihrer schlechten Laune lag, die sich seit jener belauschten Szene nicht gebessert hatte. Das fröhliche Lachen der beiden kam ihr wieder in den Sinn, von denen sie nach wie vor annahm, es handelte sich um Julien und Jeanette. Ein seltsam schmerzliches Gefühl hatte sich in ihrem Herzen festgebissen wie ein tollwütiger Hund, und sie wusste in diesem Augenblick nur eines: Sie war seither nicht in der Lage, Julien auch nur eines freundlichen Wortes zu bedenken.
    „Ihr habt meine Frage nicht beantwortet“, erinnerte sie ihn schroff. Dieser Mensch hier konnte wahrlich nicht wissen, wie Recht er mit dem hatte, was er gesagt hatte.
    „Ich habe in Paris Schulen besucht, an denen man unter anderem Latein unterrichtet“, rechtfertigte er sich schmallippig. „Allerdings gebe ich noch einmal zu bedenken, dass ich nicht weiß, ob ich in der Lage sein werde, diese Dokumente einwandfrei zu übersetzen.“
    „Nehmt Platz und versucht Euch zunächst einmal an der ersten Seite“, entschied Marie und erhob sich. „Da liegen Stifte und Papier.“
    Die Tür fiel leise hinter ihr ins Schloss, bevor Julien etwas entgegnen konnte.
    Er nahm das Dokument in die Hand, ging um den Schreibtisch herum und begann, es zu lesen.

    Als sich Marie am nächsten Morgen nach ihm erkundigte, konnte ihr keiner sagen, wo Julien geblieben war. Niemand schien ihn gesehen zu haben, und teilweise reagierte ihr Gesinde überrascht darauf zu hören, dass er sich überhaupt noch im Schloss aufhielt.
    Selbst Jeanette zuckte bedauernd die Schultern, als Marie sie nach ihm fragte. Nein, er hatte sich doch bereits am Abend zuvor von ihr verabschiedet, und sie hatte geglaubt, er sei schon längst nicht mehr im Schloss, erklärte sie ihrer Herrin.
    Ein Blick auf die großen, verweinten Augen des Mädchens verriet Marie, dass Jeanette sich wohl sehr ungern von dem Maler getrennt hatte und jetzt wie die anderen überrascht war zu hören, dass er noch im Haus geblieben war. Hinter den groß aufgerissenen Augen konnte Marie förmlich lesen, dass sich das Mädchen Gedanken darüber machte, wo er diese Nacht verbracht haben mochte.
    Irgendwie erfüllte Marie die Erkenntnis, dass Julien die Kleine nicht über seine Planänderung informiert hatte, mit einer kleinen, dummen Genugtuung, und sie lief mit einem aufregend triumphierenden Gefühl aus der Küche.
    Einer Ahnung folgend ging sie in ihr Arbeitszimmer und öffnete vorsichtig die Tür. Julien saß, über der Schreibtischplatte zusammengesunken, auf dem lederbezogenen Sessel dahinter und schlief. Unter seinem Kopf und den ausgebreiteten Armen vergraben lagen einige Seiten beschriebenen Papiers.
    Marie trat leise näher und zog behutsam ein Blatt davon unter seiner Hand hervor. Julien war sofort hellwach.
    „Demoiselle, entschuldigt bitte, wenn ich erneut Euer Missfallen errege“, sagte er mit verschlafener Stimme und versuchte, ihr das Blatt Papier wieder wegzunehmen. „Ich habe so lange an der ÜbersetOSzung gearbeitet, bis ich vermutlich …“ Er zuckte mit den Schultern, ließ aber das beschriebene Blatt nicht los.
    „Macht Euch darüber keine Gedanken.“ Sie behielt die beschriebene Seite beharrlich weiter in der Hand.
    „Ich danke Euch für Euer Verständnis.“
    Marie spürte, dass der Schmerz in ihrer Herzgegend inzwischen etwas leichter geworden war. Er ließ die Seite los, strich sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn und wischte mit einer Hand über die Augen.
    „Aber: Habt Ihr Euch eigentlich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was in diesen Dokumenten stehen könnte?“, fragte er dann und nahm ihr mit einer schnellen Bewegung die Seite aus der Hand, bevor sie es sich versah. „Sie wurden übrigens auf vergleichsweise billigem, dünnem Pergament geschrieben, nicht auf Papier, das zu jener Zeit unerschwinglich teuer gewesen ist.“
    „Nein.“ Sie musterte ihn aufmerksam, machte aber keine Anstalten, ihm die Seite wieder wegzunehmen. „Ich habe lediglich darüber nachgedacht, wie seltsam es ist, hier lateinische Gerichtsprotokolle zu finden, dazu hin noch unter einer

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