Die Rose von Angelâme (German Edition)
sofort los“, sagte sie schließlich und bemühte sich, ihm ihre Hand zu entziehen.
„Nein. Ich habe Angst, Ihr lauft davon und lasst mich hier im Ungewissen zurück.“
„Ihr seid unglaublich dreist“, zischte Marie, machte jedoch keine weiteren Anstalten mehr, ihm ihre Hand zu entwinden. „Es dauert einfach zu lange.“
„Das liegt mit Verlaub an Euch. Sobald Ihr mir gesagt habt, womit ich Euer erneutes Missfallen erregt habe, lasse ich Euch los.“
„Das meine ich nicht. Ich rede von Eurer Arbeit.“
„Das Bild?” Er zeigte mit dem Pinselstiel über seine Schulter zur Staffelei hinüber. „Aber ich sagte Euch bereits, dass es so gut wie fertig ist. Ich habe nur noch ein paar Details auszumalen, dann verlasse ich Euch wieder. Außerdem möchte ich Euch einen Vorschlag machen, Demoiselle.“
„Ja bitte?“
„Was haltet Ihr davon, wenn ich die fertig bemalte Leinwand auf ein altes Holzbrett aufziehe, das ich in einem der Schuppen gefunden habe? Es wäre die perfekte Kopie, die man nur bei genauerer Untersuchung erkennen würde.“
„Wofür sollte das gut sein?“, fragte Marie stirnrunzelnd. „Ich will keine Fälschung, ich will eine Kopie!“
„Ihr wolltet das Bild doch verschenken? Warum es also nicht so originalgetreu wie möglich kopieren?“
„Wenn nichts Unrechtes dabei ist: bitte.“
„Ob etwas Unrechtes dabei herauskommt oder nicht, liegt an Euch, Demoiselle.“
Er sah sie ruhig an.
„Gut, dann tut, was Ihr für richtig haltet.“
Er ließ endgültig ihre Hand los und deutete eine leichte Verbeugung an.
„Gut“, murmelte Marie erneut und rieb die Stelle, an der er sie festgehalten hatte. „Lasst Euch Euren Lohn von Honoré ausbezahlen, sobald Ihr fertig seid. Eure Arbeit ist – angemessen gut.“
Damit wandte sie sich um und ließ ihn stehen. Der Maler sah ihr schmunzelnd nach.
„Verzeiht, wenn ich Euch ein letztes Mal störe“, bat Julien, nachdem er eingetreten war, und blieb an der Tür stehen. „Ich möchte mich von Euch verabschieden.“
Marie sah von den Dokumenten auf, die vor ihr ausgebreitet auf dem Schreibtisch lagen.
„Was ist das?“, fragte sie, ohne auf ihn einzugehen oder ihn anzusehen, und schob dabei ein Blatt der Dokumente mit den lateinischen Texten über den Schreibtisch.
Julien trat zögernd näher, und warf einen Blick auf das Pergament. Marie bemerkte, wie sich eine dünne, steile Falte auf seiner Stirn bildete. Schließlich hob er den Kopf und sah sie schweigend an.
„Nun?“
„Das habe ich Euch bereits gesagt, Demoiselle. Es ist wohl ein altes Protokoll …“
„… in lateinischer Sprache“, vervollständigte sie ungeduldig seinen Satz. „Ich erinnere mich gut daran, dass Ihr das bereits sagtet, Monsieur. Ich möchte aber wissen, um was für ein Protokoll es sich dabei handelt!“
„Vermutlich um ein Gerichtsprotokoll, Demoiselle.“
„Auch das erwähntet Ihr bereits. Aber um was für ein Gerichtsprotokoll handelt es sich?“
„Das kann ich so leider nicht sagen. Nur eines ist sicher: Es handelt sich um das alte Latein der Mönche, Demoiselle.“
„Das Latein der Mönche? Sprechen die ein anderes Latein als die übrigen Gelehrten?“, fragte Marie mit ehrlichem Erstaunen.
„Nun ja, die Sprache ist natürlich dieselbe, Demoiselle“, antwortete Julien, noch immer ein wenig zögernd. „Aber einige unverwechselbare Redewendungen lassen mich vermuten, dass dieses Gerichtsprotokoll hier ein Mönch geschrieben hat.“
„Ach.“ Marie betrachtete das Schriftstück, das er ihr wieder zuschob. „Ein Gerichtsprotokoll, das ein Mönch geschrieben hat, und dazu hin noch …“
„… in Latein“, vervollständigte Julien schmunzelnd ihren angefangenen Satz, weil sie nicht weiter sprach. Erschrocken sah er sie an, aber sie schien seine Dreistigkeit nicht bemerkt zu haben. Vorsichtig fuhr er fort: „Es scheint aus einer Zeit zu stammen, in der außer einer Handvoll Mönchen kaum jemand das Schreiben beherrschte. Vermutlich ist das Dokument, zwei-, dreihundert Jahre alt.“
„So alt?“
Marie hatte zuvor zwei Tage lang mit sich gerungen, was sie tun sollte. Einerseits war sie neugierig auf das gewesen, was diese Aufzeichnungen und die Tatsache zu bedeuten hatten, dass ihr die Existenz der Dokumente bislang unbekannt gewesen war, andererseits tat ihr Juliens Anwesenheit auf unerklärliche Weise weh. Besonders, wenn sie in Jeanettes strahlendes Gesicht sah, das umso glücklicher schien, je länger Julien im Schloss weilte.
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