Die Rose von Angelâme (German Edition)
um das Bild, sondern auch um dieses Dokument, das ich für Euch übersetzt habe. Es scheint sehr wichtig für sie zu sein.“
„Das verstehe ich nicht. Woher wissen diese Leute überhaupt etwas davon? Warum befragten sie Euch, warum kommen sie nicht hierher?“
„Unter anderem möchte ich genau das auch gerne wissen“, antwortete er zustimmend. „Sie sagten so etwas wie, es seien da noch Dinge ungeklärt.“
Marie war fassungslos.
„Das Gerichtsprotokoll ist mehr als fünfhundert Jahre alt! Was ist daran ungeklärt?“ Die bewusste kleine Falte stand senkrecht über ihrer Nase. „Darüber hinaus ist es eine Angelegenheit, die meine Familie betrifft. Die geht außer mir niemand etwas an!“ Sie war aufgebracht hin und her gelaufen und blieb jetzt direkt vor Julien stehen. Um ihm ins Gesicht zu schauen, musste sie den Kopf ein wenig anheben. „Wenn etwas daran unklar ist, dann wäre es ausschließlich an mir, diese Gesellschaft mit irgendwelchen Ermittlungen zu beauftragen. Ich verstehe das nicht.“
„Ihr dürft mir glauben, dass ich versucht habe dahinter zu kommen, warum man ausgerechnet mich befragt hat, Demoiselle. Ihr könnt sicher sein, dass ich ihnen nichts erzählt habe, was ich nicht verantworten könnte.“ Juliens Stimme klang müde. „Ich habe schließlich erfahren, dass auch mein Vater etwas damit zu tun haben muss, denn sie hielten mir vor, dass er in einer ähnlichen Situation das Land verlassen habe. Das schien ihnen für ihr Vorgehen Grund genug zu sein.“
„Für ihr Vorgehen?“
„Mich stundenlang aufzuhalten.“
In Maries Gesicht standen Sorge und Verständnislosigkeit.
„Was hat Ihr Vater damit zu tun? Was heißt das: in einer ähnlichen Situation? In welcher Situation?“
„Mein Vater befand sich vor Jahren auf einem Schiff, welches vor der Küste Afrikas unterging, Demoiselle. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört. Es wurde gemunkelt, dass er den französischen Behörden davongelaufen sei. Aber weder mir noch meiner Mutter wurde jemals bekannt, ob daran etwas Wahres sein könnte. Mein Vater sollte offiziell eine Familie begleiten, die auf dem Weg von Frankreich über Italien und Griechenland den Spuren der Kreuzfahrer folgen wollte. Mein Vater interessierte sich ebenfalls dafür und begleitete sie. So konnte er seine Interessen verfolgen und wurde gleichzeitig dafür bezahlt.“ Er dachte einen Augenblick lang nach. „Die beiden Herren in Tours ließen mich wissen, über diese Geschichte informiert zu sein und bezogen sich immer wieder darauf, dass er damals aus unehrenhaften Gründen außer Landes gegangen war.“
„Also doch die Geheimpolizei“, mutmaßte Marie. „Wen sonst sollte das interessieren! Wie lange ist es denn her, dass Ihr Vater verschwunden ist?“
„Das ist inzwischen zehn Jahre her.“
„Oh.“ Sie schwieg einen Augenblick lang. „Das alles tut mir Leid für Sie.“
„Keine Ursache, Demoiselle. Das konntet Ihr ja nicht wissen.“
Marie schüttelte noch immer verständnislos den Kopf. Nichts ergab einen greifbaren Sinn.
„Es entzieht sich außerdem meiner Kenntnis, was das alles mit meiner derzeitigen Situation zu tun haben könnte“, fragte sich Julien laut.
Da sie sich im Empfangszimmer neben dem Haupteingang des Schlosses aufhielten, suchte sich Marie einen der bequemen, mit Stoff bezogenen Sessel aus und ließ sich darauf nieder. Mit einer kleinen Geste forderte sie Julien auf, sich ebenfalls zu setzen.
„Ihr sagtet, diese seltsamen Leute hätten Euch festgehalten, weil Euer Vater in einer ähnlichen Situation das Land verlassen habe“, fasste Marie ungeduldig zusammen. „Ich sehe keine Verbindung zwischen einem Mann, der nach Afrika fährt und auf dem Weg dorthin möglicherweise sein Leben verliert und einem, der in Tours seine Mutter besucht.“ Sie fasste ihn scharf ins Auge. „Warum habt Ihr eigentlich ein Quartier gesucht, wenn Eure Mutter dort eine Wohnung hat?“
Julien seufzte.
„Meine Mutter hat dort keine Wohnung. Sie ist in den Diensten einer aristokratischen Herrschaft und bewohnt in deren Haus ein bescheidenes Zimmer.“
Marie verkniff sich zu fragen, was für Dienste seine Mutter denn verrichtete. Ihr war wieder sehr deutlich bewusst geworden, dass dieser junge Mann hier lediglich niedrigen Standes war.
Julien hatte die Schultern hochgezogen und die Hände vor sich zwischen den Knien gefaltet. Sein Blick wirkte traurig oder müde oder beides.
„Ich weiß nicht mehr als das, was ich Euch erzählt habe, und
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