Die Rose von Angelâme (German Edition)
lange zurückliegende Episode der Angelâme’schen Familiengeschichte führte.
Julien, weil er versuchte herauszufinden, worin das Geheimnis der alten Dokumente lag, Marie, weil sie Seite für Seite abschrieb und um das ergänzte, was Julien aus dem Gedächtnis diktierte. Sie wollte vermeiden, dass durch einen dummen Zufall auch noch die Übersetzung abhanden käme.
Aus unerklärlichen Gründen hegte sie seit Tagen den Verdacht, dass Honoré etwas mit dem Brand zu tun gehabt haben könnte. Aber sie schwieg. Hätte sie diesen Gedanken Julien gegenüber geäußert, sie hätte sich gewundert.
„Wisst Ihr, was merkwürdig ist?“, fragte dieser schließlich.
„Nein.“ Marie blickte gar nicht auf. Das Handgelenk schmerzte ihr bereits und sie wollte so schnell als irgend möglich fertig werden.
„Hier steht immer wieder etwas über eine Prophezeiung, einem Wort, von dem der Vater gewusst hätte. Und jedes Mal dahinter die protokollierte Bemerkung des anwesenden Inquisitors, der Vater sei seit mehr als fünfzehn Jahren tot. Ich kann nichts darüber finden, was für eine Prophezeiung gemeint ist, und komme langsam zu dem Schluss, Eure Vorfahrin litt an derselben Krankheit wie ihre arme Mutter.“
Marie sah schließlich doch auf und strich sich mit einer müden Handbewegung eine ihrer störrischen Locken aus der Stirn.
„Wie ihre Mutter“, wiederholte sie verständnislos.
„Die laut dieser Protokolle schizophren gewesen zu sein scheint“, erinnerte Julien sie. „Möchtet Ihr lieber schlafen gehen?“, fragte er dann mit einem besorgten Blick auf ihr blasses Gesicht.
„Nein.“ Marie beugte sich wieder über ihre Schreibarbeit.
„Vermutlich liegt der Schlüssel zu der ganzen Sache in den fehlenden Seiten des Originaltextes.“
„Wir müssen herausfinden, woher mein Vater die Protokolle hatte, vielleicht sind dort die übrigen“, überlegte Marie laut und gähnte. „Ich könnte Monsieur Sebastien danach fragen.“
„Nein, nicht Monsieur Sebastien!“
Marie sah erschrocken auf, weil Julien sehr laut gesprochen hatte.
„Nicht Monsieur Sebastien?“
„Nicht Monsieur Sebastien“, bestätigte Julien.
„Honoré?“, versuchte sie es noch einmal.
„Ich glaube besser keinen von beiden.“
„Julien“, Marie legte ihre Feder zur Seite. „Ihr wollt doch nicht etwa andeuten, dass Ihr den beiden nicht traut?“
Julien zuckte die Achseln.
„Ich weiß nicht, irgendetwas stimmt da nicht.“
„Wie kommt Ihr darauf?“
„Ich habe bisher nicht erwähnt, dass sich meine Befrager auch nach den beiden Herren erkundigt haben, was mich sehr verwunderte. Demoiselle?“ Er hielt inne, als er sah, wie erschöpft sie wirkte.
Marie winkte müde ab.
„Ist schon gut. Erzählt weiter.“
„Demoiselle, wie heißt Honoré eigentlich mit Familiennamen?”
Marie schüttelte bedauernd den Kopf.
„Honoré? Das weiß ich leider nicht.“
„Und dieser Sebastien?“
„Montgelas. Warum fragt Ihr?“
„Nur so.“ Julien sah auf die vor ihm liegenden Blätter. „Die in Tours haben mir irgendwelche Namen genannt und mich gefragt, ob ich jemand davon kenne.“
„Kanntet Ihr jemand?“
„Nein. Rose war bestimmt nicht verrückt“, sagte er dann, seinen vorherigen Gedanken wieder aufnehmend.
„Wie?“
„Rose, die Frau aus den Protokollen. Gibt es denn irgendwelche Aufzeichnungen über Eure Vorfahren aus jener Zeit, Demoiselle?“
„Es gibt einige Stammbücher.“ Marie dachte nach. „Die stehen - die standen im Arbeitszimmer meines Vaters.“ Sie blies verärgert die Backen auf, als ihr einfiel, dass sämtliche Unterlagen über ihre Familiengeschichte nicht mehr existierten.
„Oh.“ Julien sah auf. „Da fällt mir etwas ein. Unter dem Landschaftsbild, das ich kopiert habe, befand sich ein anderes Gemälde, welches offenbar mein Vater übermalt hat. Es ist vermutlich ein Porträt.“
„Ja, aber was hat das mit unseren Protokollen hier zu tun?“
Er musterte sie. Sie hatte von der Übermalung gewusst und ihm nichts davon gesagt. Es wurde Zeit, dass sie die Geheimnisse lüfteten, die sie selbst mit sich herumtrugen, bevor sie an die Lösung anderer Fragen gingen.
„Mag sein, dass es sehr weit hergeholt ist, Demoiselle. Aber vielleicht erinnert Ihr Euch daran, an welcher Stelle die Farbe abplatzte?“
„Über dem aufgemalten Richtplatz, warum?“
„Nun, beim Kopieren des Bildes fiel mir auf, dass ausgerechnet der Richtplatz in einem völlig anderen Stil gemalt war als die restliche
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