Die Rose von Angelâme (German Edition)
dem Verwalter in dieser Bibliothek. Sie haben geraucht und den rubinroten Wein getrunken, der dort angebaut wird, und sich über alle möglichen geschäftlichen Dinge unterhalten. Ich habe mir in der Zwischenzeit die Bücher angesehen, die teilweise sehr schön und bunt illustriert waren.“
„Alte Bücher, denke ich mal.“
„Sehr alte Bücher, ja. Sehr kostbare Bücher vermutlich.“
„Kennt Ihr den Verwalter?“
„Kennen ist übertrieben. Ich habe ihn nur einmal gesehen, und kann mich deshalb nicht unbedingt an ihn erinnern. Außerdem habe ich erst bei Durchsicht sämtlicher Unterlagen aus dem Nachlass meines Vaters entdeckt, dass dieses Gut den Angelâmes gehört.“
„Nun, ich denke, die Gerichtsprotokolle stammen von dort.“
„Wie kommt Ihr darauf?“
„Bevor ich die Seiten übersetzte, habe ich sie mir sehr genau angesehen.“ Er lächelte dünn. „Künstler eben.“ Als Marie darauf nichts sagte, fuhr er fort: „Mir ist dabei aufgefallen, dass jemand einen Teil der alten Pergamente als Unterlage verwendet haben muss, als er ein anderes Dokument mit einer Art Prägestempel versehen hat. Ich habe herausgefunden, dass es sich dabei um ein italienisches Siegel handeln musste, auf dem so etwas wie ein Wappen zu sehen ist, das für ein Weingut stehen könnte.“
Er legte ein Blatt Papier vor sie hin, auf dem er dieses Siegel gezeichnet hatte. Marie betrachtete es voller Ehrfurcht. Es sah sehr plastisch aus und war vermutlich maßstabsgetreu wiedergegeben.
„Es liegt an Euch, Demoiselle, wie weit Ihr in diese Geschichte noch eindringen wollt, oder ob Ihr es lieber bei dem belasst, was wir bislang herausgefunden haben.“
„Was aber ist es, was wir zu ergründen suchen?“
„Demoiselle, ich nehme an, es hat etwas mit den Frauen Eurer Familie zu tun. Denen, die vor Euch waren und denen, die nach Euch kommen. Es gibt etwas, das sie weiter vererben.“ Er warf ihr einen schnellen Blick zu. „Etwas, das ich nicht ergründen kann. Es scheint jedoch so wichtig zu sein, dass vor fünfhundert Jahren diese Rose geopfert wurde, und dass dies nach wie vor für irgendjemanden sehr wichtig zu sein scheint.“
„Nach dieser langen Zeit?“ Sie runzelte ungläubig die Stirn.
„Nach dieser langen Zeit und vielleicht auch noch weit hinein in die Zukunft“, stimmte er zu.
„Was könnte es sein, das die Frauen dieses Geschlechts vererben?“, fragte sie ihn mit vor Aufregung geröteten Wangen.
„Das weiß ich leider nicht.“
Marie erhob sich.
„Wir fahren nach Siena“, sagte sie bestimmt.
„Wir?“
„Packt Eure Sachen zusammen. Wir reisen so schnell als irgend möglich ab.“
Mit dieser Anweisung ließ sie ihn stehen und ging hastig aus dem Atelier. Sie hatte vor ihrer Abreise noch einiges zu erledigen.
Siena, Italien - Juni im Jahre des Herrn 1842
Die Reise war anstrengend genug gewesen. Seitdem sie in Angelâme losgeritten waren, hatte es fast ausschließlich geregnet, was das Vorwärtskommen arg erschwerte. Marie hatte sich von Anfang an für Pferde entschieden, weil sie die Wege kannte und wusste, wie sehr viel schwieriger es teilweise sein würde, mit einem Pferdegespann oder der Postkutsche an ihr Ziel zu kommen.
Zum Glück gab es ein paar gute Herbergen und Wirtshäuser unterwegs, wo sie Quartier machen konnten oder zum Essen anhielten. Außerdem mussten die Pferde versorgt und gut untergebracht werden, da Marie sie nicht gegen die Tiere der Poststationen eintauschen wollte.
Die Comtesse hatte Veronique als Begleitung mitgenommen, die sich um die persönlichen Belange ihrer Herrin zu kümmern hatte, Louis, ihren zuverlässigsten Diener, und Julien, der Louis zur Hand gehen sollte, wenn es Schwierigkeiten gab.
Jeanette und Honoré hatte sie schlichtweg für unabkömmlich erklärt und auf dem Schloss zurückgelassen. Erstere mit einem ausgesprochen deutlichen Gefühl der Genugtuung.
Am siebzehnten Tag ihrer teilweise sehr mühsamen Reise auf ihren Pferden und per Schiff erreichten sie schließlich die Toskana, die sich ihnen von ihrer besten Seite zeigte. Es war angenehm warm, die Schwalben segelten zwitschernd über den blauen Himmel. Die Mücken, die sie gelegentlich plagten, waren weniger lästig als die, die den Reisenden während des feuchtschwülen Wetters bisher arg zugesetzt und sie immer wieder fürchterlich zerstochen hatten.
Marie sah auf die sanfte hügelige Landschaft, deren Düfte und Farben sie in sich aufnahm wie ein Schwamm. Sie bemerkte bei einem Seitenblick auf
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