Die Rose von Angelâme (German Edition)
auf eine Tafel schrieb.“
„Aha.“
„Ausgesprochen klingen diese Anfangsbuchstaben wie Fils prends garde - Sohn, nimm dich in Acht!“
„Nun ja …“ Marie zweifelte etwas an dieser Interpretation, wusste aber auch, dass es sich bei restlos allem, was sie hier taten, lediglich um Spekulationen handelte. Warum also nicht diese auch gelten lassen? „Wovor sollte Euer Vater Euch warnen wollen? Das hätte er Euch auch so sagen können!“
Julien lächelte müde.
„Unter der Voraussetzung, dass ich tatsächlich etwas mit der ganzen Sache zu tun bekäme, das ist richtig. Das konnte mein Vater kaum vorher wissen. Es sei denn - aber das ist viel zu absurd!“
„Was?“
„Es sei denn, ich bin nicht zufällig hier.“
„Ihr meint, diese Organisation könnte Euch hierher geschickt haben?“
Plötzlich erschien alles so sinnvoll und logisch: der Unbekannte, der ihm seine erste Arbeit vermittelt hatte. Diese Kopie! Vermutlich wollte man lediglich wissen, wie genau er zu arbeiten verstand, vielleicht auch, wie verschwiegen er war. Dann das erneute Auftreten jenes geheimnisvollen Vermittlers für die Arbeit im Hause Angelâme. Hier lag wohl der eigentliche für ihn vorgesehene Wirkungsbereich.
Aber alles nur, um eine mehr als vage Vermutung hinsichtlich einer mehr oder weniger wichtigen Botschaft anzustellen? Die sein Vater möglicherweise in einem Bild versteckt hatte, welches zufällig an einer bestimmten Stelle abgeblättert war? Blödsinn! Wie konnte die Organisation (wenn es denn eine gab) wissen, dass dieses Stückchen Farbe gerade jetzt, als er sich auf dem Weg nach Hause befand, abblättern würde?
Er schüttelte den Kopf.
Es sei denn, jemand hätte nachgeholfen. Da war wieder der Name, der ihm die ganze Zeit zusammenhanglos durch den Kopf geisterte: Honoré.
Julien sprach mit Marie über seine Gedanken, und diese hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen.
„Das würde bedeuten, dass zumindest Honoré etwas von dieser ganzen Sache weiß“, schloss sie aus dem, was Julien ihr gesagt hatte. „Wenn die Männer, die in Tours mit Euch gesprochen haben, ebenfalls zu dieser Organisation gehören - warum haben sie Euch dann über Honoré befragt?“
„Jede geheime Organisation hat einen Gegenpol. Die Männer müssen ja nicht zu den Leuten gehört haben, zu denen Euer und mein Vater gehört haben könnten.“
„Vielleicht können wir mit Honoré reden und mehr herausfinden?“
„Demoiselle, ich verstehe Eure Neugier. Aber ich habe einen Verdacht, den ich jedoch nicht begründen kann, und zu dem ich mich deshalb zu diesem Zeitpunkt nicht äußern möchte. Bitte, habt ein paar Tage Geduld. Vor allen Dingen aber: Sprecht mit keinem Menschen über das, was wir gesagt und vermutet haben! Ich bin mir fast sicher, dass wir einem Geheimnis auf der Spur sind, dessen Enthüllung verschiedenen Leuten gar nicht, und anderen wiederum sehr gelegen käme. Ich weiß allerdings nicht, welche Sorte die gefährlichere ist.“ Er hielt einen Augenblick lang inne. Für uns, hätte er fast gesagt. Aber schon die Vermutung, die Demoiselle oder er könnten in Gefahr sein, war ungeheuerlich. Er wollte die junge Dame nicht unnötig aufregen. Als er jetzt in ihr entsetztes Gesicht sah, stellte er verärgert fest, dass ihm jedoch genau das hervorragend gelungen war. Schnell fügte er deshalb noch an: „Dass eine Gefahr für mich dahinter steckt, vermute ich aufgrund der Warnung meines Vaters. Er wollte mich offensichtlich für den Fall warnen, dass ich seine Andeutungen in diesem Bild entdecken würde und sie zu entschlüsseln gedächte.“
„Was machen wir also?“
„Ich möchte sehr gerne alles notieren und versuchen, mir einen Reim darauf zu machen, wenn Ihr erlaubt. Dann sehen wir weiter.“
„Wie lange wird das dauern?“
„Das kann ich nicht sagen.“ Er entdeckte die kleine, senkrechte Falte auf ihrer Stirn und schmunzelte. Sollte sie doch denken und machen, was sie wollte! Er würde seine Aufgabe erledigen und dann für immer von hier verschwinden. Langsam war ihm ihr Wesen völlig zuwider. Es gab Frauen, die weniger kalt und von sich eingenommen waren. Diese hier verdarb ihm mit ihrer launischen Art den Geschmack an edlen Damen voll und ganz. „Vielleicht einen, vielleicht zwei Tage?“
„Gut. Was mache ich so lange?“
„Das, was Ihr immer tut“, gab er zurück. „Aber sprecht mit niemand über all das hier!“
Sie nickte und erhob sich, machte zwei Schritte auf die Tür zu, als sich plötzlich das
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