Die Rose von Angelâme (German Edition)
desto mehr keimte in Simon der Verdacht, dass da irgendwas nicht stimmte, auch wenn das Bild bislang nicht als Versicherungsfall gemeldet war und von daher nicht zu seinen Aufgaben gehörte.
Schließlich fand er die Expertise des Professors. Simon druckte sie aus, studierte sie und wurde von der Dame in Rot endgültig in den Bann gezogen.
Dreiviertelporträts wie das vorliegende seien ihm aus dieser Zeit so gut wie überhaupt nicht bekannt, schrieb der Professor. Der Malstil stamme eher aus der Zeit Mitte bis Ende des 14. Jahrhunderts, befand Krapp. Die Künstler der Frühgotik beschränkten sich bei ihren Werken weitest gehend auf biblische Darstellungen, die sie im kleinen Format bestenfalls als Buchillustrationen, oder im großen Stil als Wandmalereien, und da hauptsächlich als Fresken, ausarbeiteten. Hervorzuheben seien hierzu die Werke von Giotto, der in einmaliger Art die Wände der Capella degli Scrovegni in Padua bemalt habe. Der Malstil des vorliegenden Bildes ähnle zwar dem des großen Meisters, trage aber deutlich eine andere Handschrift.
Erst in späteren Jahren ging man zur Tafelmalerei über, erfuhr Simon weiter, die jedoch zunächst nur als Altarbilder ausgeführt wurden und schon von daher ausschließlich biblische Szenen zum Inhalt hatten. Die Renaissance, so führte der Experte weiter aus, brachte Künstler hervor, die ihre Bilder auf Holz oder Leinwand und unabhängig von biblischen Darstellungen anfertigten, aber das sei eben sehr viel später gewesen.
Angemerkt war, dass Tafelmalerei bereits seit dem 6. Jahrhundert vor Christus in der griechischen und byzantinischen Kunst bekannt gewesen ist, wohingegen die schönsten und am besten erhaltenen frühen Wandmalereien in Pompeji und Herculaneum zu finden seien. Porträt-und Tafelmalerei sei ferner als wichtiger Bestandteil des römischen und ägyptischen Ahnenkults belegt. Die Künstler dieser Epoche stellten sogenannte Mumienporträts her, die sich im trockenen Wüstenklima bestens erhalten hatten, wie die Funde aus Fayum bezeugten. Im mittelalterlichen Europa, so kam Prof. Dr. Krapp auf das ihm vorliegende Gemälde zurück, entwickelte sich die Kunst bildlicher Darstellung in unterschiedlicher Weise, die der Experte detailliert ausgearbeitet hatte. Das Bildnis der Dame in Rot passe jedoch seiner Ansicht nach nicht in die Zeit des frühen 14. Jahrhunderts, aus dem es der in arabischen Ziffern aufgemalten Jahreszahl 1305 zufolge angeblich stammte, wiederholte er abschließend.
Der Professor wies zum Ende seiner Ausführungen weiter darauf hin, dass seine Expertise lediglich aufgrund einer Inaugenscheinnahme des Gemäldes erstellt wurde. Ein Echtheitszeugnis könne er erst ausstellen, wenn das Bild spektrografischen Analysen unterzogen worden sei oder Infrarotaufnahmen gemacht wurden, was sein Auftraggeber jedoch nicht in Erwägung zöge. Außerdem kenne er den Künstler nicht, der dieses Bild geschaffen habe. Spika sei ihm bislang als Signatur nirgends begegnet, ließ er die Versicherung in einem beigefügten Schreiben wissen. Er könne den Wert des Bildes nicht gesichert angeben, weshalb er davon Abstand nehme, seine Schätzung schriftlich festzulegen.
Der Versicherungswert des Gemäldes in Höhe von einer halben Million Mark wurde einige Monate nach Ausstellung dieser Expertise festgesetzt. Simon fand jedoch keine Grundlage für das Zustandekommen dieser Summe. Es war nicht zu ersehen, wer diesen Wert festgeschrieben hatte, da die ursprüngliche Police in New York ausgestellt worden war.
Irgendetwas an diesen Sachverhalten reizte Simon, sich weiter mit dem Gemälde zu befassen. Es war ihm egal, was Daniel dazu sagen würde. Immerhin hatte der ihm die Unterlagen auf den Tisch legen lassen. Da war etwas, das ihn fesselte, etwas, das darauf zu warten schien, entschlüsselt zu werden. Aber so sehr er darüber nachdachte, was das sein mochte, er kam nicht drauf. Vielleicht, so überlegte er, hatte er sich zu sehr darin verrannt, Daniel etwas zu beweisen. Wobei er sich nicht einmal im Klaren darüber war, was er ihm beweisen wollte.
Zunächst stellte sich Simon die Frage: Warum wurde das Bild in Amerika mit so einer hohen Summe versichert, wenn der genaue Wert nicht einwandfrei ermittelt worden war? Und warum hatte die deutsche Tochter der ASIC die bestehende Police offenbar ohne weitere Prüfung übernommen, obwohl der Kunstsachverständige sich nicht eindeutig zum Wert des Bildes geäußert hatte? Wer hatte die Expertise bei dem deutschen
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