Die Rose von Angelâme (German Edition)
Privileg hatte der König selbst erlassen, wohl, weil er sich dadurch weniger Intrigen und heimliche Treffen innerhalb seiner Mauern erhoffte. Seit einiger Zeit verfolgten die Mitglieder des Hofes das Tun und Lassen der anwesenden Ritter des Ordens mit Argwohn und lautem Protest, was den König jedoch unberührt ließ.
Der Templer jedoch, dem dieses Privileg tatsächlich galt, hatte wenig Interesse an den großen und kleinen Geheimnissen der Höflinge. Ihm genügte sein uneingeschränkter Zugang zur Bibliothek, in der er ungestört mehr erfuhr, als er jemals in des Königs Gefolge würde aufschnappen können. So wusste er beispielsweise sehr genau, wonach der Dominikanerpater suchte, wenn er zwischen den Regalen herumschlich, und er wusste auch, warum de Nogaret ihn nicht aus den Augen ließ.
Aber ein guter Priester hört, sieht und schweigt.
Über den wahren Hintergrund von Pierres Anwesenheit wusste niemand etwas. Die meisten ignorierten ihn sogar, hielten ihn für einen dummen Jungen, der ahnungslos von einem Fettnäpfchen ins andere trat, und ansonsten völlig harmlos schien. Gott sei gelobt!
Ungeduldig wartete Pierre in seiner Unterkunft darauf, sich mit den Rittern des Tempels treffen zu können. Er hatte ihnen ausgesprochen Wichtiges mitzuteilen, und zwar ganz schnell.
„Ihr sagtet, Ihr wüsstet etwas Genaueres über die Absprachen zwischen dem Erzbischof und dem König?“, fragte ihn SaintMartin zwei endlose Tage später bei einem heimlichen Treffen in einer lauten Schenke irgendwo im Süden der Stadt.
„Ja. Ich war unfreiwilliger Zeuge eines Gesprächs zwischen Philipp und dem Erzbischof von Bordeaux. Ich hoffe, Euch dessen Inhalt so genau wie möglich wiedergeben zu können.“
Pierre war so nervös, dass er zweimal den Krug mit Wein abstellen musste, den der Ritter für ihn bestellt hatte, bevor er einen Schluck daraus nehmen konnte.
„Ist schon gut“, beschwichtigte ihn SaintMartin. „Rede.“
Pierre war unendlich dankbar, sein Geheimnis weiter geben und eine ungeheuerliche Last von seinen Schultern nehmen zu können.
Angelâme zwischen 1303 und 1305
Rose, Comtesse von Angelâme war überglücklich. Albert hatte sie heute um ihre Hand gebeten. Die junge Frau schloss die Augen und stellte sich vor, wie es wäre, wenn sie zu ihrem Vater laufen könnte, um ihm von dieser Neuigkeit zu berichten, bevor er es von ihrem zukünftigen Gatten erführe. Ein Gedanke, der sie traurig machte. Ihr Vater war vor einigen Jahren bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen. Rose hatte nie eine Begründung dafür gefunden, weshalb ein so erprobter Reiter und Jäger wie ihr Vater vom Pferd stürzen konnte. Da er etwas abseits der übrigen Jagdgesellschaft nach einem angeschossenen kapitalen Hirsch gesucht hatte, wusste niemand, was genau geschehen war. Seine Jagdkameraden hatten ihn erst nach längerem Suchen gefunden. Er lag hinter einem umgestürzten Baumstamm am Boden und hielt den Hirschfänger noch fest umklammert, in den er beim Sturz vom Pferd gefallen war. Das Pferd musste ihn abgeworfen haben, als es über den Baumstamm setzte. Warum er den Hirschfänger bereits gezogen hatte, während er das verwundete Tier hoch zu Ross verfolgte, konnte ihr niemand sagen.
Manchmal, wenn sie sich in Gedanken an ihren Vater wandte, glaubte sie, seine Stimme zu hören. Sie klang dann voller Gefühle für seine Tochter, die er so sehr geliebt hatte, dass er ihr den Namen seiner Lieblingsblumen gegeben hatte: Rose.
Rosen!
Die dornigen Stöcke hatte er einst aus dem Land der Sarazenen mitgebracht, wo man aus Abertausenden ihrer Blüten ein herrlich duftendes Öl herzustellen vermochte. Später hatte er sie Roses Mutter überreicht, als er um ihre Hand anhielt. Die Mutter pflanzte die Stecklinge mit den widerspenstigen Dornen in den Garten hinter der Küche. Bereits zwei Jahre später öffneten sie zum ersten Mal eine Handvoll ihrer roten Blüten und wurden fortan zum sichtbaren Zeichen der Liebe zwischen diesen beiden Menschen.
Ein Strauß aus Rosenzweigen stand später am Lager der Frau, als sie ihr Neugeborenes zum ersten Mal an die Brust legte.
Männer kümmerten sich niemals um Blumen.
Ihr Vater war etwas Besonderes.
Rose erhob sich von ihrem Schemel und betrachtete die Stickarbeit, an der sie gerade gesessen hatte. Albert würde ihren Oheim am nächsten Tag offiziell um ihre Hand bitten.
Die junge Frau hoffte, dass auch ihre Mutter zugegen sein würde. Seit dem Tod ihres Mannes litt sie an der Schwermut,
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