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Die Rose von Angelâme (German Edition)

Die Rose von Angelâme (German Edition)

Titel: Die Rose von Angelâme (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Mayer
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verteilte die mitgebrachten Schriften auf dem Boden seiner Schlafkammer, nachdem er deren spärliche Möblierung mühsam zur Seite geschoben hatte. Eine rußende Kerze aus Unschlitt spendete gerade so viel Licht, wie er brauchte, um die alten Texte lesen zu können. Wie ein fetter Hund kroch er zwischen den Pergamenten herum und notierte hastig, was ihm für des Königs Vorhaben wichtig erschien. Dabei schnalzte er immer wieder mit der Zunge.
    „Angelâme. Drecksnest! Verdammte Hure“, flüsterte er dabei und fuhr mit der Hand über sein feistes Kinn. „Nimm dich in acht! Meine Zeit ist gekommen! Ein zweites Mal entwischst du mir nicht.“

    Es war gefährlich für Pierre, als Zuträger des Ordens in allernächster Nähe des Königs seinen Dienst zu verrichten. So unsicher er unter den Augen der Hofschranzen und des übrigen Gefolges seines Herrn auch wirken mochte, so sicher war er sich auf der anderen Seite: der Seite seiner Bestimmung.
    Der junge Mann hatte sich von Kindheit an fest in den Kopf gesetzt, irgendwann ein Ritter des geheimnisvollen Ordens zu werden, in dessen Auftrag er inzwischen immer wieder seinen König verriet. Er hatte das Tun und Lassen der Templer seit jenem verhängnisvollen Tag anno 1289 beobachtet, an dem sein Vater zusammen mit Pierres älterem Bruder das Anwesen der Mézerays verließ, nachdem ein Jahr zuvor die Mutter bei der Geburt ihres letzten Kindes verstorben war, welches ihr wenige Stunden später folgte. Keines seiner sieben weiteren Geschwister war älter als drei Jahre alt geworden. Nur er und sein Bruder Godefroy hatten es geschafft. Pierre allerdings kränkelte und fiel dem Vater immer mehr zur Last.
    Vater und Godefroy hatten sich einem Zug von Männern angeschlossen, die über Wams und Kettenhemden in helle, mit einem roten Kreuz bestickte Umhänge gekleidet waren und Pilgerzüge ins Heilige Land begleiteten.
    Diese Männer nannten sich Ritter des Tempels.
    Den kleinen, kränkelnden Pierre hatte der Vater kurzerhand in ein Kloster gesteckt und ihm gesagt, dass seine angeschlagene Gesundheit dies erforderlich mache. Dort sollte er bleiben, sich gesund pflegen lassen und fleißig lernen. Er sei außerdem zu jung für einen Kreuzzug. Eines Tages würden sie zurückkommen und ihn wieder auf das Anwesen der Familie holen. Dann werde er gewiss ein kräftiger junger Mann geworden sein, an dem sein Vater eine Freude habe.
    Auf diesen Tag hatte der kleine Pierre jahrelang in kindlichem Vertrauen gehofft. Es war sein Strohhalm gewesen in Tagen der Niedergeschlagenheit, sein Traum in fieberkranken Zeiten, sein Licht nach einer finsteren, durchweinten Nacht, sein Lebensmut in kalten, verbitterten Zeiten voller Zweifel.
    Es sollte niemals zu diesem Tag kommen.
    Die Mönche teilten es ihm anno 1298 ungerührt mit, als er fast vierzehn Sommer zählte und mehr als neun Jahre seines Lebens in ihrem Kloster verbracht hatte: Vater und Bruder hatten am Kampf um Acre teilgenommen, den der Mameluken-Sultan Al-Malik al-Aschraf Salah ad-Din Chalil im Mai anno 1291 erfolgreich beendete. Die beiden Männer waren angeblich bei ihrem Versuch ums Leben gekommen, vor den Angreifern zu fliehen.
    Eine wenig heldenhafte Leistung, wie die Mönche den Jungen verächtlich wissen ließen.
    Wie grausam das Gemetzel während der Kämpfe um die Festung war, wie tapfer sich die Menschen innerhalb der Stadtmauern hielten, und wie wenig ihre Flucht mit Unehrenhaftigkeit zu tun hatte, sollte Pierre erst sehr viel später erfahren:
    Acre hatte als uneinnehmbar gegolten, bis das Heer des Sultans die Festung belagerte, um es zur Aufgabe zu zwingen. Nach wochenlangen Entbehrungen hielt die Verteidigung den Angriffen des feindlichen Heeres nicht mehr stand. Teile der Mauer fielen und wurden förmlich überrannt, Tore wurden eingerissen, Häuser in Brand gesteckt. Ein grausames Blutbad unter den ausgezehrten, geschwächten Bewohnern und ihren Verteidigern war die Folge. Es gelang nur wenigen Menschen, auf die im Hafen wartenden Schiffe zu flüchten und sich in Sicherheit zu bringen.
    Pierres Vater und Bruder waren nicht dabei.
    Warum die Mönche ihm diese Nachricht so viele Jahre lang vorenthielten, würde Pierre nie erfahren, er konnte es nur ahnen.
     
    Das Anwesen der Mézerays fiel ohne großes Aufhebens an das Kloster. Man entschädigte sich damit angeblich für die Kosten, die durch seinen jahrelangen Aufenthalt und seine Ausbildung in den klösterlichen Mauern entstanden waren. Dabei wusste Pierre, dass sein Vater

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