Die Rose von Angelâme (German Edition)
streng und die Mädchen gehorchten augenblicklich.
„Dass Ihr zu mir gekommen seid!“, rief Rose erfreut aus und sank vor ihrer Mutter auf die Knie. „Ihr ward so still und in Euch versunken während der Trauung. Ich habe Euch bei der anschließenden Feier im Saal vermisst.“
„Du bist wunderschön.“ Die Mutter strich Rose mit einer zärtlichen Geste über die kunstvoll aufgesteckten, rotblonden Haare mit den vorwitzigen Löckchen. „Dein Mann hat eine gute Wahl getroffen.“ Sie zog ihre Tochter hoch und ging zu einem der hölzernen Schemel am Fenster, auf dem sie sich niederließ. „Ich bin mit deiner Wahl sehr zufrieden.“
Die Comtesse hielt kurz ihre Hände über die wärmende Glut in der Feuerschale neben dem Schemel.
Rose sah sie verblüfft an.
„Mit meiner Wahl? Es war die Wahl meines Oheims.“
Die Comtesse winkte ungeduldig ab.
„Ich bin deine Mutter, Kleines. Ich sehe vieles, auch wenn ich es nicht zeige. Außerdem bin ich eine Frau.“
Rose glaubte, einen Anfall tiefer Trauer auf ihrem Gesicht zu erkennen. Sie hatte sich über die Anwesenheit der Mutter in diesem Raum so sehr gefreut, dass sie jetzt fürchtete, ein unbedachtes Wort nähme sie ihr sofort wieder weg.
„Ich …“
„Hier, das ist mein Geschenk für dich“, unterbrach sie die Herrin von Angelâme und hielt ihr die geschlossene rechte Hand entgegen. „Setz dich auf den Schemel da, du bist zu groß für mich geworden.“
Rose zog schweigend den Schemel vor die Mutter und setzte sich darauf.
„Es ist ein sehr kostbares Kleinod“, fuhr ihre Mutter fort und öffnete die Hand. Ein fein gearbeitetes Goldkettchen schimmerte darin, das durch die Öse eines seltsam geformten goldenen Anhängers gefädelt war. Sie legte Rose das Kettchen um den Hals. „Ich habe es am Tag meiner Hochzeit von meiner Mutter erhalten, und sie wiederum von der ihren. Wenn du deine älteste Tochter zum Altar begleitest, gibst du es an sie weiter, denn sie ist die nächste Erbin dieses Schmuckstücks.“
Rose wagte nicht, das Kettchen mit dem seltsamen Symbol daran zu berühren. Der Anhänger schien wie Feuer auf ihrer weißen Haut zu brennen.
„Ein Erbstück also“, murmelte sie.
„Es ist die Nachbildung eines menschlichen Herzen und gilt im Land der Sarazenen als Symbol für das Leben. Denn die Seele, meine Tochter, die Seele sitzt im Herzen eines jeden Lebewesens.“
„Ist es nicht verboten, so etwas zu tragen?“, fragte Rose unsicher.
„Niemand hat es bislang beanstandet, meine Tochter.“
Die junge Frau erinnerte sich allerdings auch nicht daran, das Schmuckstück jemals bei ihrer Mutter gesehen zu haben. Vermutlich trug sie es verdeckt unter ihrem Gewand. Das würde sie vorsichtshalber auch tun, beschloss sie bei sich.
„Die Lehren der Wissenschaften in unseren Landen sind unzulänglich und ohne Gefühl“, fuhr die Mutter fort. „Es sind die Lehren von Männern, die tot sind, bevor sie sterben, deren Gefühle sich in Macht und Gier erschöpfen, oder deren Überlegungen bereits im Keime erstickt werden, weil sie unerwünscht sind. Die Gelehrten des Morgenlandes hingegen lassen sich in ihrer Arbeit und ihrem Denken nicht einschränken, und schöpfen in allen ihnen zugänglichen Bereichen aus den Tiefen ihres Wissens.“
„Woher weißt du das?“, fragte Rose, die zwischen Entsetzen und Erstaunen hin-und hergerissen war. Niemals hatte sie solche Gedanken hinter der weißen Stirn ihrer Mutter vermutet.
„Ich weiß es von deinem Vater.“
„Oh.“
„Männer denken“, erklärte die Mutter geduldig weiter. „Frauen haben Gefühl. Eine Mischung aus beidem würde allen gut tun. Belassen wir es dabei.“
Rose legte die Hand vorsichtig und ein wenig beklommen auf das goldene Herz, aber nichts geschah. Das beruhigte sie.
„Es ist ein Geheimnis um dieses kleine Herz, das ich nicht kenne, das auch meine Mutter nicht kannte. Vielleicht wirst du erfahren, worin es besteht, vielleicht deine Tochter oder die Tochter deiner Tochter. Wer weiß.“
Rose wollte etwas fragen, aber die Mutter legte einen Finger auf ihren Mund.
„Schschsch, mehr kann ich dir nicht sagen, mehr weiß ich nicht darüber. Die Comtessen von Angelâme sind seit Generationen Hüterinnen eines Geheimnisses, das keine von uns kennt, und ich lege hier und jetzt diese Aufgabe in deine Hände.“
„Es soll sein, wie es sein soll“, antwortete Rose, jetzt wieder deutlich verunsichert.
Die Mutter schwieg und Rose schluckte verzweifelt einen dicken Kloß in
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