Die Rose von Angelâme (German Edition)
ihrem Hals hinunter. Sie verstand nichts mehr. Alles an diesem Tag war so verwirrend, und langsam dachte sie, an derselben Krankheit zu leiden wie ihre Mutter. Entsetzen packte sie, als ihr der Gedanke durch den Kopf schoss, ihre Mutter müsse wohl doch eine Hexe sein.
„Ich möchte mich zurückziehen. Lass eines der Mädchen kommen, mich zu begleiten. Der Geistliche aus dem Ort wird mir noch die Beichte abnehmen, bevor er nach der Feier zurück in den Weiler geht“, beschloss die Mutter das Gespräch. „Ich möchte ihn nicht warten lassen.“
„Nicht der Herr Bischof, der die Trauung geleitet hat?“, fragte Rose, die dachte, ihre Mutter würde diese Ehre zumindest am heutigen Tage nicht ausschlagen wollen.
„Nein. Schick nach meinem Beichtvater.“
Rose rief nach Agnès, die sie vor der Tür wusste.
„Kümmere dich um meine Mutter.“
Diese ließ sich willig vom Schemel aufhelfen und folgte der Zofe aus der Kammer, ohne ihrer Tochter noch einmal einen Blick zu schenken. Für den Rest des Tages blieb sie in ihren eigenen Räumen, wohin ihr nach angemessener Zeit der Priester folgte, den sie um geistlichen Beistand gebeten hatte.
„Wisst Ihr jetzt mehr?“, fragte Agnès dreist, als sie zurückkam, und machte eine obszöne Geste.
„Agnès, ich verbiete dir, so mit mir zu sprechen!“, fauchte Rose sie an. „Du wirst dein unkeusches Betragen unverzüglich dem geistlichen Herrn beichten!“
Sie hoffte, dass keines der Mädchen ihre Verwirrung und Angst bemerken würde.
„Hochwohlgeborene Dame“, beschwichtigte Agnès ihre Herrin und begann, sich an deren Haaren zu schaffen zu machen, während auch die übrigen Mädchen wieder eintraten und neugierig um die beiden Frauen herumstanden. „Erstens hat er jetzt gerade weitaus Wichtigeres zu tun, und zweitens ist es der Brauch, dass erfahrene Weiber einer so unschuldigen Braut wie Euch etwas über ihr künftiges Eheleben berichten.“
„Aber …“
Agnès zuckte mit den Schultern. „Nachdem Eure Mutter offenbar nicht in der Lage ist, Euch in die Geheimnisse der ehelichen Pflichten einzuweihen …“
„Verschwindet!“, befahl Rose halbherzig und mit zittriger Stimme, aber die Mädchen blieben und kümmerten sich eifrig um die Robe ihrer Herrin. „Ich weiß bereits über alles Bescheid, was ihr mir erzählen wollt, da ich weder blind noch taub bin.“
Agnès zuckte die Schultern. „Wie Ihr meint, Herrin!“
Kurz darauf kehrte Rose aufgewühlt zur Festtafel zurück und warf ihrem Mann heimliche Blicke zu. Ihre Gedanken kreisten dabei um etwas, was lange zurücklag und bis vor wenigen Augenblicken noch irgendwo in ihrem Kopf geschlummert hatte. Sie weigerte sich jedoch, sich deutlicher daran zu erinnern, da sie den Abgrund spürte, der sich dahinter auftat.
Das Kettchen mit dem seltsamen Anhänger hatte sie unter den Spitzen ihres Kleides verschwinden lassen.
Bis in den späten Abend hinein saß sie fröstelnd und in einer äußerst erbärmlichen Stimmung zwischen den lärmenden Gästen. Die Begegnung mit ihrer Mutter und deren Offenbarung eines Geheimnisses, das sie ihr nicht erklären konnte, hatte sie unruhig gestimmt.
Als Rose gegen Mitternacht ihre nunmehr eheliche Kammer betrat, ließ sie sich schweigend von den wartenden Mädchen entkleiden und für die Nacht vorbereiten. Ein Schauer lief über ihren Rücken, als sie nackt vor ihnen stand, sich von ihren flinken Händen auf Agnès Geheiß mit duftendem Öl einreiben ließ und ihr schließlich das Nachtgewand angelegt wurde.
„Ihr braucht Euch nicht vor dieser Nacht zu fürchten“, sagte Agnès, massierte beruhigend ihre Schultern und winkte die Mädchen hinaus.
„Ich fürchte mich auch nicht“, antwortete Rose trotzig und ein neuerliches Frösteln ließ sie erschauern.
Agnès lächelte verständnisvoll. Sie entkorkte schließlich eine kleine Phiole, die sie an einem Lederband um den Hals getragen hatte. Dann bat sie Rose, sich auf den Rücken zu legen, und massierte ihr das körperwarme Kräuteröl behutsam in die Haut ihrer Schenkel.
„Das hat mir die Wehmutter für Euch gegeben“, flüsterte sie ihr dabei leise zu. „Ich überlasse Euch den Rest für später.“
„Die Wehmutter?“
„Vertraut mir.“
Dabei strich sie wie zufällig ein paar Mal über die gekräuselten, rotblonden Haare der Scham ihrer Herrin, und Rose spürte, wie sich ein begehrliches Feuer in ihr ausbreitete, das seinen Ursprung dort hatte, wo die behutsamen Hände ihrer Zofe sie sanft massierten.
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