Die Rose von Angelâme (German Edition)
dem Kloster ein hübsches Sümmchen überlassen hatte, das hinlänglich für alle Kosten gereicht hätte.
Die Mönche boten ihm mit kaum verborgener Scheinheiligkeit an, bei ihnen bleiben und sein Leben im demütigen Dienste des Herrn verbringen zu können. Aber Pierre hatte das Klosterleben vom ersten Tag an missfallen. In seinem Herzen war die Sehnsucht nach einem väterlichen Freund und Bruder niemals erloschen.
Die Mönche hatten ihm oft gezeigt, dass er ihnen ein Dorn im Auge war, aber nie erklärt, warum. Nur der zahnlose alte Fernando hatte sich seiner angenommen, ihn geduldig gepflegt, wenn er krank auf seinem Lager vor sich hinfantasierte, ihn getröstet, wenn das Herz seines Zöglings vor Kummer überlief, und ihm beigebracht, was er für seine Pflicht hielt und was auch die Aufgabe des Vaters gewesen wäre.
Der Junge hatte während seines Aufenthaltes im Kloster, wie von seinem Vater gewünscht, fleißig gelernt. Er konnte inzwischen nicht nur lesen und schreiben, sondern beherrschte neben der französischen auch die lateinische Sprache. Er konnte ausgezeichnet rechnen und wusste schon allein aus diesem Grunde, dass die Klosterbrüder ihn um sein Hab und Gut betrogen hatten.
Pierre wollte sich den Tempelherren anschließen, mit ihnen in das ferne Land ziehen, was seinem Vater und dem älteren Bruder zum Verhängnis geworden war. Er wollte sich und den beiden Toten beweisen, dass er ihrer ebenbürtig war.
Für Feiglinge hielt er sie nicht einen Wimpernschlag lang, mochten die Klosterbrüder das halten, wie sie wollten.
Also verließ Pierre das Kloster, nachdem er sich Fernandos’ Segen hatte geben lassen, und machte sich auf den Weg nach Paris, wo er eine der bekanntesten Komtureien der Templer wusste. Da er kaum Geld und so gut wie nichts hatte als die Kleider, die er auf dem Leib trug, musste er unterwegs immer wieder bei Bauern und Handwerkern um Arbeit bitten. Dabei lernte er die Armut und das Elend der einfachen Leute kennen, aber auch ihren eisernen Willen zu überleben.
Diese Erfahrungen unterschieden sich deutlich von dem, was er später am Hofe des Königs kennenlernen würde.
Als Pierre sich zwei Jahre später im Temple in Paris um Aufnahme in die Bruderschaft bewarb, waren Bruder Olivier de SaintMartin, der Komtur des Tempels und die übrigen Ritter sofort von seinem Wesen angetan. SaintMartin ließ den Jungen erzählen, was bisher in seinem Leben geschehen war, und bewunderte schließlich dessen Hartnäckigkeit, dem Weg von Vater und Bruder folgen zu wollen, obwohl jener so unglücklich zu Ende gegangen war. De SaintMartin wusste nur zu gut, dass Pierres Antriebskraft für den Orden mehr wert war als alles Gold, das so viele andere bereitwillig in die Hände seiner Mitbrüder legten, um sich ihnen anschließen zu dürfen. Der Junge würde für die Verwirklichung seines Traums alles tun, was innerhalb seiner Fähigkeiten lag.
Das wusste SaintMartin weitaus höher zu schätzen als Pierre ahnen konnte.
Pierre war inzwischen groß gewachsen, hatte kräftige Schultern und einen durchtrainierten Körper, was nicht zuletzt von der schweren Arbeit herrührte, die er in der Zeit seiner Wanderschaft verrichtet hatte. Sein schulterlanges Haar zeugte von seinem Adel, war dunkel und leicht gewellt wie das der Leute aus dem Süden. Seine Augen waren fast schwarz, was durch einen dichten Wimpernkranz noch hervorgehoben wurde. Das recht jugendliche Gesicht wurde von entschlossenem Ernst geprägt, unterstrichen durch seine gerade Nase und den scharf konturierten, schmalen Mund.
Er war genau das, was SaintMartin für die Zwecke des Ordens brauchte. Davon überzeugte er die übrigen Ritter und seinen Komtur ohne große Mühe.
Der Junge wurde einer harten Ausbildung in ritterlichen Gepflogenheiten und Kampftechniken unterzogen. Er bekam Reitunterricht, wurde weiter in Latein unterrichtet, lernte auch das daraus entstandene Vulgärlatein zu sprechen, mit dem er sich gegebenenfalls als Übersetzer betätigen konnte, und musste schließlich die Namen der wichtigsten Leute am Hof des Königs, ihre Ämter, aber auch ihre Gewohnheiten und kleinen Schwächen auswendig lernen.
Dann entließen die Brüder ihn mit dem Empfehlungsschreiben eines hohen Adelsmannes in die Dienste des Königs, der gerade nach einem Adlatus suchen ließ.
Kurz nach Pierres Eintritt in die Dienste des Königs waren im Palast Stimmen dagegen laut geworden, dass ein Priester aus dem Orden der Tempelherren überall Zutritt habe. Dieses
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