Die Rose von Angelâme (German Edition)
für möglich gehalten. Das Porträt war dem Original so ähnlich, dass er mehrmals vom Bild zu seiner Frau und wieder zum Bild schaute, bevor er fähig war, etwas dazu zu sagen.
Das Bild vor ihm zeigte Rose in jenem Kleid aus dunkelrotem Samt, das sie trug, als er sie bat, seine Frau zu werden. Er wusste, dass es Roses’ Idee gewesen war, sich darin malen zu lassen, und dass sie ihm damit eine Freude hatte bereiten wollen. Das war ihr vollauf gelungen.
„Es ist wunderschön“, sagte Albert schließlich, als er sich wieder gefasst hatte.
Rose war überglücklich, als sie sah, dass ihrem Mann das Gemälde gefiel.
„Léon ist wirklich ein Künstler“, sagte sie strahlend.
„Er ist ein wahrhaftig außergewöhnlicher Künstler“, bestätigte Albert. „Noch nie habe ich davon gehört, dass ein Maler so etwas geschaffen hätte, und ich habe niemals ein Bildnis gesehen, das seinem Vorbild ähnlich ist wie ein Spiegelbild.“ Er lächelte ihr zu. „Allerdings ist sein Modell auch ausgesprochen schön.“
Dabei verschwieg er seine Gedanken darüber, ob es wohl angebracht war, dieses Kunstwerk jemals anderen Leuten zu zeigen.
„Albert!“
„Gefällt es dir nicht, wenn dein Gemahl nach wie vor in dich verliebt ist?“
„Es gefällt mir sehr wohl, mein Gemahl!“ Sie strahlte ihn vielsagend an und warf ihm eine Kusshand zu. „Léon vertraute mir übrigens an, das sei eine völlig neue Art des Malens. Er habe sein Können allerdings nicht in Rom bei seinem Meister, sondern bei den Sarazenen erworben.“
„Das hat er dir erzählt?“ Albert musterte sie ungläubig.
„Ja! Ah, es war so langweilig, bewegungslos da zu sitzen. Deshalb hat er mir die aufregendsten Geschichten erzählt. Er sagte, er habe dieses wundervolle Land kennengelernt, als er einige Ritter begleitete, die nach Jerusalem aufgebrochen waren, um es von den Heiden zu befreien.“
„Oh, das. Ja, er hat an einer der Pilgerreisen in das Heilige Land teilgenommen.“
„Aber er kam nicht bis Jerusalem, wie er mir berichtete. Er kehrte nach Rom zurück, nachdem er eines Tages nur mühsam dem Tod während der üblen Kämpfe gegen die Sarazenen entkommen war“, erzählte sie ihm eifrig.
„Erstaunlich, dass jemand während eines solchen Marsches und trotz aller Gefahren und Entbehrungen in der Lage ist, neue künstlerische Fertigkeiten zu erlernen!“, tadelte Albert unterschwellig ihre Leichtgläubigkeit.
Rose senkte ob dieser Rüge den Kopf. Leiser fuhr sie fort: „Er geriet in die Hände eines Sarazenenfürsten, der Gefallen an ihm fand und ihn für einige Zeit an seinen Hof nahm. Dort lernte Léon Dinge kennen, die ihm bislang vollkommen fremd waren.“
„Das glaube ich ihm allerdings gerne“, entgegnete Albert düster. Dabei dachte er jedoch keinesfalls an die Kunst der Malerei. Er wusste, dass die Sarazenen die unglaublichsten Praktiken auf dem Gebiet fleischlicher Lust liebten, die sich angeblich nicht nur auf das jeweils andere Geschlecht bezogen. Es sollte unter ihnen dem Verlauten nach üblich sein, dass sich Männer schamlos miteinander vergnügten. Eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen, die man in der abendländischen Welt die griechische Liebe nannte! Wahrscheinlich, so mutmaßte Albert, hatte der junge Künstler davon gesprochen. Zum Glück, so dachte er, hatte Rose ihn völlig missverstanden.
„Albert, glaubst du, der junge Mann hat mich belogen?“
Rose suchte nach einem Zeichen in Alberts Gesicht, dass er ihr Verhalten nicht für ungeziemend empfand.
„Das nicht, Liebes“, beschwichtigte er seine Frau. „Léon wird sicherlich ein gefragter Mann werden, sobald bekannt wird, wie gut er malt.“
Er konnte nicht ahnen, dass Rose sehr genau darüber Bescheid wusste, in welche Geheimnisse Léon weit weg von der Kunst der Malerei eingeweiht worden war. Schließlich hatte Agnès ihr erzählt, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer untereinander sich Freuden gönnten, die der Kirche ein Dorn im Auge waren. Aber sie schwieg sich darüber aus gutem Grunde aus.
Albert hatte ebenfalls ein Geheimnis, was er sorgfältig vor seiner Frau verbarg. Er wusste, dass der Maler nicht von ungefähr auf dem alten toskanischen Weingut weilte, sondern weil er unter anderem die Kunst der Symbolsprache beherrschte wie kaum ein anderer. Nur ein geübtes Auge würde jemals sehen, was Albert ihn auf seinem Bild festzuhalten gebeten hatte. Niemals würde der junge Mann ein Sterbenswort darüber verlieren, was ihm sein Auftraggeber
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