Die Rose von Angelâme (German Edition)
anvertraut hatte. Léon hatte wie Albert einen heiligen Eid geleistet.
Lange hatten die beiden Männer darüber gesprochen, wie sie demjenigen einen Schlüssel zu den Geheimnissen des Bildes in die Hand geben konnten, der in fernen Zeiten dazu ausersehen sein würde, ihn zu finden. Bis Léon ihm glaubhaft versicherte, dass zwar die Sprache seiner Symbole im Laufe der Zeit verloren gehen könnte, nicht aber die der Buchstaben.
So setzte er als Signatur den Namen eines der hellsten Sterne des nördlichen Himmels unter das Bild: Spika aus dem Sternbild der Jungfrau. Wer verstand, diese Metapher zu entschlüsseln, würde auch dazu berufen sein, die Botschaft zu verstehen, die in dem Bild verborgen lag.
Wer Augen hat zu sehen, der sehe.
„Ein vorbeifahrender Händler hat mir berichtet, der ehemalige Erzbischof von Bordeaux, unser neuer Papst Clemens, habe Avignon zum künftigen Sitz des Heiligen Stuhls ins Auge gefasst“, berichtete an einem der darauf folgenden Abende der Weinhändler und wischte sich den Mund am Zipfel des Tuches ab, das den Tisch bedeckte.
„Avignon?“, fragte Rose überrascht. „Ich dachte …“
Der Gastgeber überging den Einwand der Frau mit einem leichten Stirnrunzeln.
„Ich hatte angenommen, er wäre nur zu seiner Krönung in Frankreich geblieben, und würde früher oder später in den Lateran einziehen“, wagte Rose einen neuerlichen Beitrag zu diesem Gespräch, ohne auf den stummen Hinweis ihres Gemahls zu achten, der sie zu schweigen gemahnte.
„Euer König hat ihn sozusagen eingeladen, im Frankenland zu residieren“, erklärte ihr der Weinhändler nachsichtig lächelnd ob ihrer Ignoranz gegenüber dem, was einer Frau bei Tische in männlicher Gesellschaft zustand. „Ich nehme an, er hat seine Gründe dafür“, fuhr er mit einem Seitenblick auf Albert fort. „Allerdings hörte ich auch davon, der Papst soll sich vor dem König auf dieses Anwesen – nun, sagen wir einmal, zurückziehen wollen.“
„Zu spät“, sinnierte Albert laut und schüttelte ahnungsvoll den Kopf.
Paris im Jahre des Herrn 1306
SaintMartin hatte Pierre bereits ungeduldig in der Wachstube neben dem Eingang des Temple in Paris erwartet, und überquerte kurz darauf mit ihm zusammen eilig den weitläufigen Platz zwischen Haupttor, Stallungen und Friedhof. Linker Hand sah Pierre, wie die Pferde der mit ihm zusammen eingetroffenen Ritter des Temple zur Tränke geführt wurden. Rechts ragte über einer halbhohen Mauer die Längsfassade des Großmeisterpalastes heraus, dahinter waren die Nebentürme und der Donjon zu sehen, der die imposante Kirche der Komturei noch um ein gutes Stück überragte.
Sie betraten eines der niedrigen Gebäude zwischen Konventsaal und Palast, wo ihn SaintMartin hieß, sich in einem kleinen, dem Innenhof zugekehrten Raum einen Augenblick zu gedulden.
„Ist dir jemand hierher gefolgt?“, fragte er, als er schon an der Tür stand.
„Nein. Ich habe mich dessen mehrmals vergewissert.“
Pierre sah sich um. Der Raum war spartanisch eingerichtet. Nichts deutete auf die unglaublichen Schätze hin, die der Orden nicht verstummenden Gerüchten zufolge teils verwalten, teils selbst besitzen sollte. Es wurde gemunkelt, die Templer verfügten über Mittel, mit denen sie das finanzielle Schicksal der ganzen Welt in ihren Händen hielten. Das mochte sein, darüber wusste Pierre jedoch nichts. Allerdings war ihm bekannt, dass der König bei den Rittern hoch verschuldet war. Er hatte bekanntermaßen Schwierigkeiten, die Kosten zu decken, die während seiner Regentschaft entstanden waren.
Schließlich hatte er in seiner Hoffnungslosigkeit neue, kleinere Münzen prägen lassen, die weniger Edelmetall enthielten als die alten. Damit wurde das ohnehin knappe Geld jedoch erheblich abgewertet. Die Gefahr eines Volksrevolte schwelte unheilvoll über dem Land.
Bevor Pierre sich weiter Gedanken um Dinge machte, die er nicht ergründen konnte, kam SaintMartin zurück. Er führte ihn in einen Raum am Ende eines langen Korridors, schloss die schwere Tür und setzte sich auf einen reich gearbeiteten, lederbezogenen Stuhl an der gegenüberliegenden Wand.
„Setz dich, Bruder, und erzähl, was du weißt!“, ermunterte er Pierre und wies auf einen zweiten Stuhl unweit des seinen. Pierre ließ sich langsam darauf nieder.
„Ihr selbst habt mich in den Dienst unseres allergnädigsten Herrn, König Philipp von Frankreich stellen lassen“, begann Pierre und freute sich wie ein Kind darüber, dass
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