Die Rose von Angelâme (German Edition)
von mehreren Seiten dem Tor zustrebten. Pierre stellte beim Näherkommen überrascht fest, dass das Schloss des Königs ungewöhnlich schwer bewacht wurde. Er musste sich wie die übrigen Ankommenden bei zwei Wachen ausweisen, bevor er eingelassen wurde. Seine beiden Begleiter blieben am Tor zurück. Sie hatten ihren Befehl ausgeführt.
Pierre erkannte unter den übrigen Ankommenden einen älteren Ritter, mit dem er gelegentlich im Palast ein paar belanglose Sätze gewechselt hatte.
„Wisst Ihr, warum man uns hierher befohlen hat?“ fragte er ihn, nachdem der Ältere ihn ebenfalls erkannt hatte und wartend stehen geblieben war.
„Ich schätze, der König hat guten Grund, gewisse Leute herzurufen und die Wachen zu verstärken“, antwortete der. „Habt Ihr die Unruhe unter den Menschen nicht bemerkt, die sich über die Geldentwertung aufregen? Ich glaube, wenn der König nicht sofort etwas unternimmt, bricht ein Volksaufstand aus. Dann gnade uns Gott!”
Pierre lief mit besorgter Miene hinter zwei bereits auf ihn wartenden Boten zu den Gemächern des Königs. Der sah unwillig auf, als die Tür geöffnet wurde. Pierre blieb respektvoll mit gezogenem Hut stehen und wartete, bis man ihn hereinwinkte.
Der König saß, umgeben von einigen seiner Ratgeber und einer Handvoll Höflingen, die sich sehr wichtig gaben, auf seinem lederbezogenen Lieblingssessel. Vor ihm kniete ein Lakai, der ihm die Füße massierte und einölte. Eingedenk der Tatsache, dass es noch mitten in der Nacht war, schien hier Zeit keine Rolle zu spielen.
Philipp hatte einige Seiten Pergament in der einen und einen Federkiel in der anderen Hand, mit dem er beim Sprechen nervös herumfuchtelte. Der König machte sich damit allerdings nur wichtig, da er Pierres’ Wissen zufolge des Schreibens nur mäßig mächtig war. Mehrere Fackeln an der Wand erhellten die Szene mit nervös flackerndem Licht. Trotz eines außerdem hell lodernden Feuers im offenen Kamin war es so kühl in dem Raum, dass Pierre ein fröstelnder Schauer über den Rücken lief.
Er verstand kaum ein Wort von dem, was in der Runde um den König gesprochen wurde, da alle ständig durcheinanderredeten, und einige aufgeregt im Flüsterton diskutierten.
Plötzlich registrierte er im Halbdunkel auf der gegenüberliegenden Seite des Raums eine Bewegung. Pierre erkannte vage die massige Gestalt des Dominikaners Guillaume Imbert in seinem hellen Habit, der sich mit seinen dicken Fingern am Cingulum unter dem Skapulier zu schaffen machte. Auf der breiten Brust des königlichen Beichtvaters funkelte ein überdimensionales, mit wertvollen Edelsteinen besetztes Kreuz, und über seinen Schultern lag ein dunkler, schwerer Mantel.
Ein seltsames Gefühl beschlich den jungen Mann, als der Dominikaner in seinen Bewegungen innehielt und aufsah. Pater Guillaume Imbert starrte feindselig zu Pierre herüber, und dieser konnte den plötzlich aufkeimenden Gedanken nur mühsam verbergen, dass dieser Mann ihn längst durchschaut und seine wahre Mission erkannt hatte.
Pierres Hände begannen zu zittern, und er fühlte sich wie das immer wieder gern zitierte Kaninchen, welches sich den hypnotisierenden Augen einer Schlange gegenübersah. Er begann zu verstehen, wie jemand in den unausweichlichen Bann dieses Mannes geraten und in seiner Nähe erbärmlich zugrunde gehen konnte.
In diesem Augenblick ließ sich über dem Gewirr der anderen die Stimme Philipps vernehmen, und die Männer, die bislang um den König herumgestanden hatten, traten einen Schritt zur Seite, damit er seinen Adlatus sehen konnte.
„Bereite alles vor, damit ich unverzüglich den Palast verlassen und zu den Brüdern des Temple reiten kann“, warf er Pierre entgegen. „Verliere keine Zeit!“
Der König schüttelte unwillig seinen rechten Fuß, an dem sich der Lakai zu schaffen gemacht und innegehalten hatte, als sein Herr laut geworden war. Sofort beugte der Mann sich wieder über die königlichen Zehen und fuhr fort, diese mit geübten Fingern zu massieren. Philipp wandte sich einem Dokument zu, das ihm einer der Männer reichte.
Pierre erinnerte sich nicht daran, dass Philipp jemals so weiß im Gesicht gewesen wäre wie in diesem Augenblick. Er erschrak über die schwarzen Ringe unter dessen Augen.
„Sire? Ich bitte ehrerbietig um Verzeihung.“
„Was ist denn noch?“ Der König schien ihn bereits vergessen zu haben, und warf ungeduldig die Pergamente auf einen neben ihm stehenden Tisch. „Bist du immer noch hier? Wenn du
Weitere Kostenlose Bücher