Die Rose von Angelâme (German Edition)
Plan.
„Eine Reliquie?“
„Den Kopf der Jungfrau zum Beispiel“, antwortete der Händler mit einem breiten Grinsen. „Aber der wird niemals in ihre Hände fallen. Das hier können sie haben.“
„Ihr wisst davon?“ fragte Albert fassungslos.
„Wie Ihr seht.“
„Aber ist das da nicht Blasphemie?“, fragte der Oheim, der noch immer auf die Zeichnung starrte.
„Blasphemie? Wohl kaum mehr als jedes Stückchen Holz, das irgendwo ausgegraben und als Reliquie vom Kreuz Jesu’ von Nazareth ausgegeben wird! Ihr Christen seid doch richtig gierig danach, einen Beweis für Euren Glauben in der Hand zu halten!“ Er schnappte hörbar nach Luft. „Ihr vergesst dabei jedoch offensichtlich immer, dass Jeshua, den ihr Jesus nennt, als Jude geboren wurde, als Jude gelebt hat und als Jude gestorben ist! Niemals hat er eine Kirche gegründet, und schon gar nicht die katholische! Er hat seine Religion gelebt und geliebt, ja - die Religion des Volkes nämlich, das vom Allmächtigen als sein Volk auserwählt wurde.“
„Und der Ihr zugehört“, ergänzte Albert grimmig.
Der Händler lächelte.
„Das könnte Euer Glück sein, mein Freund“, sagte er geheimnisvoll. „Ihr scheint zu vergessen, dass Ihr hier seid, weil Ihr nirgends sonst Hilfe findet. Niemand sonst als ein Freund kann Euch im Augenblick die Hilfe gewähren, die Ihr dringend braucht.“
„Ein Freund - oder ein Geschäftsmann“, brummte Albert gereizt.
„Albert!“ Der Oheim legte seine Hand auf die Schulter des Jüngeren. „Dein Unglück und die Sorge um deine Frau haben dich verbittert gemacht. Das sollte dich aber keinesfalls zu solchen Ausfällen hinreißen!“
„Verzeiht.“ Albert wandte sich von den beiden ab und setzte sich an den Tisch.
„Außerdem müsste jedem einigermaßen gelehrten Pfaffen ins Auge springen, dass das auf dem Tuch abgebildete Antlitz nicht das eines Juden sein kann“, fuhr der Händler nach einer Weile fort. „Aber das dürfte niemand interessieren.“
Er hatte sich in keiner Weise durch Alberts Verhalten provozieren lassen, vielmehr schien es, als verstünde er dessen Situation nicht nur, sondern wäre darüber hinaus auch noch dankbar dafür, dass gewisse Dinge endlich zur Sprache gekommen waren.
Der Oheim starrte auf die Zeichnung in seinen Händen, die ein Abbild des nämlichen Tuches darstellte.
„Ihr sollt wissen, dass ich genauso eine Aufgabe habe wie Ihr“, fügte der Händler noch an. „Also fragt nicht nach den Einzelheiten, es ist ohnehin schwer genug.“
Albert ließ die Schultern hängen.
„Verzeiht, ich bin etwas außer mir.“
„Das verstehe ich“, antwortete ihr Gastgeber, und fuhr leiser geworden fort: „Durch die Anerkennung Eures Jesus als Mensch wäre es möglich gewesen, die Religionen dieser Welt miteinander auszusöhnen, einen friedlichen Austausch von Erfahrungen, Erkenntnissen, Geheimnissen …”
Albert machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Geheimnissen?“, fragte Jacques, hellhörig geworden.
„Jawohl, Geheimnissen! Ihr selbst kennt einige davon, oder nicht? Ihr selbst hütet doch ein bedeutendes Geheimnis, das Ihr und Eure Brüder mit Eurem Leben schützt. Ist nicht Eure Bruderschaft zu diesem Zwecke gegründet worden?“ Er schaute von einem zum anderen. „Ihr seht, ich weiß genug darüber.“
Albert wandte sich zu Jacques um.
„Wie kann das sein?“
„Belasst es dabei“, beschwichtigte ihn der Weinhändler, bevor Jacques sich dazu äußern konnte. „Ich bin Euer Freund.“
„Das habe ich nicht vergessen“, erwiderte Albert leise. „Ich habe im Augenblick nur Mühe, einige Dinge zu verstehen, die um mich herum geschehen.“
Er erhob sich langsam und müde. Dicke schwarze Ringe lagen um seine Augen und seine Gesichtszüge wirkten fahl und leer gebrannt. Schweigend legte er seine Arme um die Schultern ihres Gastgebers und drückte ihn herzhaft an seine Brust.
„Ich danke Euch“, sagte er leise. „Möge unser aller Mission zum ewigen Heil führen.“ Bevor er die beiden Männer verließ, wandte er sich ihnen noch einmal zu. „Sobald mein Kopf wieder klar denken kann, werde ich Euch dazu zwingen mir zu sagen, woher Ihr so viel über Dinge wisst, die seit Jahrhunderten streng geheim gehalten werden.“
„Das kann ich Euch jetzt schon sagen“, entgegnete sein Gastgeber mit ernster Miene. „Weil ich einer von denen bin, die den neunten Teil kennen.“
In Alberts’ Kopf drehten sich die Gedanken um sich selbst. Er konnte nur hoffen, dass er das
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