Die Rose von Angelâme (German Edition)
alles eines Tages entflechten und verstehen würde.
Einige Tage später verließ eine unauffällige Familie zusammen mit Händlern, Rittern und einem bunten Heer von Reisenden den Hafen von Genua. Das Schiff warf nach einer ereignislosen Fahrt, während der es mehrere Häfen anlief, schließlich vor der Küste Cyperns Anker.
Der Jude, den der Händler in Siena erwähnt hatte, erwartete die Vier bereits am Kai, wohin die Passagiere mit kleinen Booten gerudert wurden, und brachte sie in einem kleinen, von zwei armseligen Pferden gezogenen Wagen zu seinem Haus hoch über der Stadt, in ein Viertel, welches den wenigen verbliebenen Juden zugewiesen worden war.
Dort zeigte er ihnen ihre Zimmer und ließ seine Gäste zunächst bis zum anderen Tag allein, weil er dringende Geschäfte zu erledigen hatte. Sie bestanden darin, die sofortige Weiterreise der vier Flüchtenden zu organisieren, bevor jemand darauf aufmerksam wurde, dass er seine vermeintlichen Kunden länger als angemessen in seinem Hause behielt.
Albert, Jacques, Katharina und das Kind, das sie Joseph Armand nennen mussten, erreichten das Ziel ihrer Reise im Spätherbst des Jahres 1307, ohne bislang auch nur die geringste Nachricht vom Schicksal der armen Rose erhalten zu haben, die inzwischen hilflos der Inquisition ausgeliefert war.
Das Ende der Reise: Jerusalem.
Albert konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, weshalb die Bewohner dieser Stadt ausgerechnet ihn, sein Kind und Jacques, aufnehmen sollten, die allesamt Christen waren.
Aber das Unfassbare geschah: Die vier Flüchtlinge kamen zunächst bei einer jüdischen Familie aus Marseille unter, die sich einige Tage lang um sie kümmerte, und zogen schließlich in ein bescheidenes Haus am Rande der Stadt ein, wo sie die nächsten Jahre verbringen sollten, ohne jemals in ernsthafte Konflikte zu geraten.
Jacques wusste, dass eine starke Macht hinter ihnen stand, die schützend die Hand über sie gehalten hatte. Allerdings fluchte er insgeheim derselben Macht, die es so gänzlich ohne jegliches Mitgefühl zugelassen hatte, dass man seine Nichte der Inquisition auslieferte, und er betete inbrünstig dafür, dass sie nicht lange gequält wurde und ein schnelles Ende fand, sollte sie erwartungsgemäß nicht wieder freikommen.
Tours vom August des Jahres 1307 bis Sommer des Jahres 1308
Rose war allein in eine Zelle gesperrt worden, aus der man sie anfangs nur in unregelmäßigen Abständen herausholte, um sie vor einem Gremium zu verhören, das immer aus wenigstens einem Richter, zwei Beisitzern der Inquisition, dem üblichen Vertreter der königlichen Anklage und einem Mönch bestand, der eifrig die Verhöre protokollierte.
Die Zelle war klein aber erstaunlich sauber gewesen. Ein kleines Fenster mit einem hölzernen Laden, den sie selber nach Belieben öffnen oder schließen konnte ließ ein wenig Licht herein. Allerdings nie einen einzigen Sonnenstrahl, da sich die Zelle auf der Nordseite des Gebäudes befand, in dem man sie gefangen hielt. Wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte, konnte sie am Horizont einen schwachen Streifen welligen Geländes sehen. Aber sie fand niemals heraus, ob es sich um bewaldete Hügel oder einfache, mit Gras bewachsene Bodenerhebungen handelte. Niemals sah sie dort eine Menschenseele, denn in dem kleinen Ausschnitt, den sie überblicken konnte, befanden sich keine Straße und kein Weg, geschweige denn eine einzige kleine Bauernkate.
Man hatte eine einfache Pritsche in ihre Zelle gestellt, mit zerfressenen, aber wärmenden Decken, einer mit Stroh gefüllten Matratze und einem dünnen, härenen, mit Hirsespreu gefüllten Kissen. Sie hatte eine abgetragene Cotte aus grob gewebtem Leinen bekommen, und durfte sich einmal in der Woche über einem Bottich kalten Wassers waschen.
Das schätzte sie als wahren Luxus in diesem Gemäuer.
Es vergingen Wochen, in denen nichts geschah. Ein mürrisches Weib stellte ihr zweimal am Tag eine Schüssel Brei, etwas verdünnte Milch und ab und zu ein wenig Gemüse oder Obst auf den wackeligen Tisch, den sie unter ihr Fenster gezogen hatte. Fleisch bekam sie keines. Sie aß im Stehen, da es keinen Stuhl gab, auf den sie sich hätte setzen können.
Rose begann, sich in ihre Situation zu fügen. Wenigstens wurde sie zu keiner Zeit gefoltert oder auch nur grob angefasst.
Die gegen sie erhobenen Vorwürfe der Hexerei und all ihrer Begleiterscheinungen stellten sich als Farce heraus, hinter der Roses’ Meinung nach etwas weitaus
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