Die Rose von Asturien
anzurichten. Augenblicke später befanden er und der Junge sich im Freien und folgten den übrigen Knechten, die sich als kleine Gestalten am Horizont abzeichneten.
Als die Stadt nach kurzer Zeit hinter den Bäumen verschwand und die Geräusche ringsum nicht auf Verfolger schließen ließen, zügelte Rado die beiden Pferde. »Das war knapp, Bürschchen. So etwas werde ich kein zweites Mal auf mich nehmen. Was für ein Aufruhr wegen eines einzigen Apfels!«
Er schüttelte sich und wartete darauf, dass der Junge absteigen würde.
Der hockte jedoch wie ein Äffchen auf dem Pferd und grinste ihn fröhlich an. »Du brauchst doch sicher einen Gehilfen, der dir eine Menge Arbeit abnimmt. Ich bin zwar klein, aber sehr kräftig. Hier, fühl mal meine Muskeln!« Er beugte den Arm und spannte den Bizeps.
Rado wurde klar, dass er sich etwas aufgehalst hatte, das er so schnell nicht wieder loswerden würde. »Was wird Konrad dazu sagen?«, fragte er sich selbst.
»Wer ist Konrad? Dein Herr?«, fragte der Kleine.
»Ja – und auch wieder nein. Ich bin ein Freibauer, und Konrad ist der Sohn unseres Dorfältesten. Daher passe ich auf ihnauf, damit er keinen Unsinn macht, und spiele derzeit seinen Knecht.«
»Aber dann brauchst du ja ganz dringend jemanden, der dir die schmutzige Arbeit abnimmt!« Die Stimme des Jungen klang beschwörend. Es war nicht zu übersehen, dass er verzweifelt war. Er konnte sich nicht auf Dauer mit Diebstählen durchschlagen, ohne schwer bestraft und wahrscheinlich sogar verstümmelt zu werden.
»Ich werde dir treu und fleißig dienen«, setzte der Junge hinzu.
»… und mich und meinen Herrn bei erster Gelegenheit bestehlen!«, antwortete Rado abweisend.
Der Junge schüttelte so heftig den Kopf, dass seine verstrubbelten Haare aufstoben. »Ganz gewiss nicht! Ich habe doch nur aus Hunger einige Sachen mitgehen lassen, weil mir keiner Arbeit gegeben hat.«
Rado zog die Schultern hoch und schimpfte insgeheim über seine Gutmütigkeit. Daher fragte er unwirsch: »Wie heißt du eigentlich?«
»Just, mein Herr.«
Rado sah ihn streng an. »Also, Just, ich will dir glauben. Aber eines sage ich dir: Erwische ich dich bei Diebereien, wirst du dir wünschen, in der Stadt da hinter uns geblieben zu sein!« Seine Drohung ging jedoch ins Leere, denn Just sah ihn so selig an, als könne er kein Wässerchen trüben.
3.
U
nai hockte auf einem von der Sonne durchwärmten Felsen und starrte düster auf die Schafe. Das Gras der Hangwiese war bis auf die Wurzeln abgefressen, und die Hirten hatten bereits erklärt, dass sie zu einer anderen Weide weiterziehen würden.
Ein Hirte kam auf Unai zu, blieb neben ihm stehen und stützte sich auf seinen langen Stab, der mit der scharfen Spitze am oberen Ende auch als Spieß verwendet werden konnte. »Wir haben uns entschieden. Morgen treiben wir die Herde nach Norden.«
»Es ist ein weiter Weg bis zu den dortigen Weiden. Könnt ihr nicht Almen aufsuchen, die näher liegen?«
Der Hirte schüttelte den Kopf. »Nein! Es ist so vereinbart. Treiben wir die Tiere auf eine andere Weide, geraten wir mit anderen Hirten aneinander, und es gibt Zwist zwischen den Stämmen.«
Das wusste Unai ebenso gut wie der Hirte, und dieser Umstand stürzte ihn in einen heftigen Zwiespalt. Es war schon schwer genug, Ermengilda hier auf der Alm als Gefangene zu halten. Zogen sie jedoch durch das Land, würden sie von anderen Hirten gesehen werden, und dann würde die Nachricht von Ermengildas Auftauchen schnell die Runde machen. Außerdem hatte Maite diesen Platz hier als Treffpunkt genannt und würde nach ihnen suchen müssen, wenn sie zurückkam. Nun ärgerte er sich, dass er sich von Maite hatte überreden lassen, die Asturierin zu bewachen.
»Du musst das Weibsstück entweder gehen lassen oder mitnehmen, es sei denn, du willst ihm die Kehle durchschneiden!«, sagte der Hirte.
Unai fuhr wütend auf. »Bist du närrisch? Wenn wir Graf Roderichs Tochter umbringen, jagen uns die Asturier und die Franken wie Hasen.«
»Dann lass sie frei!«
»Das wird Maite nicht wollen.« Unai erinnerte sich an ihre Treffsicherheit mit der Schleuder und schüttelte sich bei dem Gedanken an die tödlichen Geschosse. Und nicht nur ihretwegen musste er vorsichtig sein. Schließlich war er dabei gewesen, als sie Ermengilda und deren Eskorte überfallen hatten, undbevor er die Asturierin freiließ, musste er sich den Eid ihres Vaters und ihres Bräutigams sichern, dass er und sein Stamm straffrei
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