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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gerichteten Blicken der Anwesenden. Die Adern seiner Stirne traten dunkler und deutlicher hervor, die Lippen preßten sich kräftiger auf einander, und die Hände hoben sich langsam, wie bereit zur Abwehr der Beleidigung, die er in den Gesang und in die Blicke legte.
    Als der letzte Ton verklungen war, trat der Geistliche zu Häupten der Verstorbenen und begann seine Rede; aber er nahm nicht, wie sonst üblich, ein Bibelwort zum Thema derselben, sondern es diente ihm der soeben gesungene Vers dazu. Auch das hatte die Todte gewollt, und ihr Wille mußte befolgt werden. Der Pfarrer war im weiten Umkreise als einer der besten Redner bekannt; er hatte schon oftmals harte Seelen auf das Tiefste erschüttert, und man ahnte, daß er sich heute eine ähnliche Aufgabe gestellt habe. Trotz des milden, linden Tones, in welchem der greise Seelsorger sprach, fühlte auch der Dukatengraf diese Absicht; sein Stolz bäumte sich dagegen auf; die Falten, welche sich ihm von Schläfe zu Schläfe zogen, wurden immer tiefer und drohender, und als der Redner bei dem Schwerte anlangte, »das durch die Seele bohrt,« und die Absicht vermuthen ließ, jetzt sich an diejenige Seele zu wenden, welche der Todten im Leben am nächsten hätte stehen sollen, da war es mit seiner Geduld zu Ende. Den abgenommenen Hut sich auf den Kopf setzend, ergriff er die Hand der Tochter:
    »Komm, Emma; wenn’s so laut’n soll, so hab’n wir hier nix mehr zu such’n! Ich dank’ für Ihre Red’, Herr Pastor; bezahlt hab’ ich sie, aber brauch’n thu’ ich sie net! Der Dukat’ngraf weiß ganz von selber, was er zu thun und zu lass’n hat, und beim Super’dent werd’ ich wohl erfahr’n, was für ein Unterschied zwischen Leichenred’ und Strafpredigt ist!«
    Emma erschrak im höchsten Grade über das Thun ihres Vaters; sie zog ihre Hand aus der seinen und wandte sich zum Sarge zurück.
    »So bleib’, wenn Dir’s gefällt; ich habe nix dageg’n!«
    Die Nahestehenden wichen scheu vor ihm zurück; er schritt mit trotzig zurückgeworfenem Kopfe zwischen ihnen hindurch und verließ den Kirchhof. Draußen kam eben der Wagen des Barons dahergerollt.
    »Willkommen, Herr Baron! Sie woll’n wohl zu mir?«
    »Natürlich! Wir müssen Ihnen doch unser Beileid über den Verlust – –«
    »Schon gut! Halb so viel ist auch genug! Und wenn Sie sich wundern, mich hier zu seh’n statt d’rin bei den Andern, so soll’n Sie unterwegs den Grund erfahr’n. Darf ich aufsteig’n?« –
    Sein Verhalten hatte die ganze Versammlung in eine unbeschreibliche Verwirrung gebracht, und nur Einer war es, der seine Fassung bewahrte, der Geistliche. Er suchte zunächst das Mädchen zu beruhigen, welches jetzt laut schluchzend an der Erde lag, dann winkte er dem allgemeinen Ausdrucke der Entrüstung Schweigen und setzte, als die nöthige Stille wieder eingetreten war, die unterbrochene Rede weiter fort.
    Ein Begräbniß wie das heutige hatte noch niemals stattgefunden, aber es war auch noch niemals eine Predigt gehalten worden wie die gegenwärtige, und als am Schlusse derselben der Segen gesprochen war, da wußte Jeder, daß er diesen Tag im ganzen Leben nie vergessen werde.
    Der Sarg sollte nun geschlossen werden, und schon griff man zum Deckel, da zog ein lauter, angstvoller Ruf die allgemeine Aufmerksamkeit nach dem Eingang hin.
    »Halt, halt,« klang es; »Ihr dürft sie net einscharr’n; ich muß die Anna seh’n; sie lebt, sie ist net todt!«
    Es war der Köpfle-Franz. Trotz aller Eile war es ihm erst jetzt gelungen, die Trauerstätte zu erreichen, und mit Aufbietung seiner letzten Kräfte arbeitete er sich den breiten Kirchhofsgang herauf bis in die nächste Nähe des Sarges. Er hatte den Hut verloren; die langen Haare hingen ihm in wirren Strähnen um den Kopf; auf Stirn und Wangen stand der Schweiß in großen Tropfen; seine Augen glühten wie im Fieber, sein Athem flog und seine Hände bebten, als er die schwarzen Bretter erfaßte, um sich an ihnen aufzurichten.
    Kein Mensch trat ihm hindernd entgegen; auch der Pfarrer ließ ihn ruhig gewähren. Sie Alle kannten die Geschichte des unglücklichen Mannes; sie Alle wußten, daß Niemand die Verstorbene so sehr im treuen Herzen getragen hatte wie er, daß ihr Tod außer ihrem Kinde Keinem so nahe gehen müsse wie ihm, und so störten sie ihn nicht in seinem Verlangen, die leblose Hülle Derjenigen zu sehen, die er geliebt hatte mit der ganzen Gluth, deren das menschliche Herz nur fähig ist.
    »Anna, wach auf!« rief er

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