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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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mit zitternder Stimme. »Der Franz ist da, der Grunert-Franz, der mit Dir red’n will! Ich weiß, Du bist net todt, Du wirst mich hör’n!«
    Sein Auge suchte das erblichene Angesicht der Leiche; es fiel auf den regungslosen Kopf mit dem vor der Zeit ergrauten Haare, den eingesunkenen Augenhöhlen, den eingefallenen Wangen, den hippokratischen Zügen, und wandte sich dann mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke auf die Umgebung.
    »Hab ich’s net gesagt? Die Anna ist net todt, die Anna kann mir net sterben! Das hier ist dem – – na, Dem seine Frau, das ist die Bäuerin von dem – – na, dem Hof da drauß’n, die kann immer todt sein, die könnt ihr immer begrab’n, denn sie ist seine Frau gewes’n. Aber die Anna, die ist mein, die hab’ ich bei mir zu Haus’ viel hundert Mal, die laß’ ich mir net nehmen!«
    Er schob sich von dem Sarge zurück und gewahrte nun erst Emma, welche unter herzbrechendem Weinen die erschütternde Scene beobachtet hatte.
    »Wer bist denn Du? Dich hab’ ich noch gar net geseh’n! So wie Du sah die Anna aus, als sie zum erst’n Mal in’s Dorf gekommen ist, grad’ so wie Du. Aber Du bist sie net, Du bist – – geh’ weg,« unterbrach er sich, indem es wie Haß in seinem Auge aufblitzte; »ich könnte Dir gut sein, grad’ wie der Anna, aber ich mag von Dir nix wiss’n. Die Anna hatte blaue Aug’n, Du aber, wenn Du auch weinst, ich seh’ es doch, Du hast Dukat’naug’n!«
    Er nahm die unentbehrlichen Hölzer, welche er vorhin von sich geworfen hatte, wieder von der Erde auf, lenkte um und schob sich, ohne die Versammlung weiter zu beachten, wieder von dannen.
    Sein Weg führte ihn das Dorf hinauf; die Straße war ziemlich menschenleer und die wenigen Personen, welche ihm begegneten, bemerkte er kaum. Nur allein mit seinen Gedanken beschäftigt, lenkte er endlich in einen engen Seitenpfad ein, welcher zu einer Stelle führte, wo abseits von den übrigen Gebäuden ein kleines, einstöckiges und außerordentlich vernachlässigte Häuschen stand. Es war sein Eigenthum und seine Wohnung. Er hielt still, sah sich scheu nach allen Seiten um, und da er Niemanden gewahrte, der seine Worte hören konnte, murmelte er halblaut:
    »Das ist dem Köpfle-Franz sein Dukat’nhof. Aber der Franz ist gescheidter als der – der – der And’re. Wenn die Leut’ wüßt’n, daß der arme Krüppel blos dann ein Bettler ist, wenn er ‘mal nach Hause kommt, so würd’ mein Kachelof’n – –«
    Er hielt vorsichtig inne, denn er war im Begriff gewesen, sein kostbarstes Geheimniß in den Wind zu plaudern. Nachdem er, um sich zu überzeugen, daß Alles in Ordnung sei, die Runde um das Häuschen gemacht hatte, zog er einen riesigen Schlüssel aus der Tasche und näherte sich der Thüre. Das Schloß war so hoch, daß er es grad’ noch zu erreichen vermochte; er öffnete, schob sich in den engen, dunklen Flur und schloß dann hinter sich wieder sorgfältig zu.
    Die Hütte hatte zur ebenen Erde drei Räume: den Flur, einen kleinen Stall und die Wohnstube. Er öffnete mit einem zweiten Schlüssel die zu der letzteren führende Thüre und verriegelte auch diese mit einer Bedachtsamkeit, als habe er ungewöhnliche Schätze zu verbergen. Da die Läden zugemacht waren, so herrschte vollständige Dunkelheit um ihn her, bis er ein Feuerzeug hervorsuchte und mit Hilfe desselben ein kleines Lämpchen anzündete, dessen ungewisser Schein wenigstens eine Art von Dämmerung hervorbrachte. In dieser traten eine Unzahl von Köpfen gespenstisch hervor, welche rings an den weißgetünchten Wänden angebracht waren; sie stellten alle ohne Ausnahme in den verschiedensten Ausdrücken und Schattirungen ein und dasselbe Mädchen dar, und wer Emma vorhin auf dem Kirchhofe gesehen hatte, dem mußte die Aehnlichkeit dieser Kohlezeichnungen mit ihr sofort in die Augen fallen.
    Er hatte den Sack abgelegt, die Stemmhölzer bei Seite geworfen und kroch nun in einer Weise auf den Händen in der Stube herum, die ihm das Ansehen eines hilflosen, vierfüßigen Thieres gab, dem die Hinterbeine gelähmt worden sind. In einer Ecke des ärmlichen Gemaches befand sich ein außerordentlich anspruchsloses Lager, bestehend aus einem Haufen dürren Laubes, über welchen eine alte Decke gebreitet war. Er wühlte einige Zeit in demselben herum und brachte zwei lange, starke Kerzen zum Vorschein, mit denen er sich einem niedrigen Tischchen näherte, dessen Platte aus zwei Theilen bestand, deren oberer zurückgeschlagen werden konnte.

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