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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nicht nachzulaufen. Schlagt Euch also den Gedanken aus dem Kopfe!«
    So lautete die unverblümte Antwort. Der Bauer nahm seinen Sohn vor, erreichte aber bei dem eigenwilligen Charakter desselben nichts weiter, als daß Heinrich einen Haß auf den Vater des Mädchens warf, den er sich aber nicht anmerken ließ. Er besaß ein leidenschaftliches Naturell und gehörte zu denjenigen Menschen, die durch eine Weigerung nur hartnäckiger werden und dann um jeden Preis zum Ziele zu gelangen suchen. Daß Anna ihn nicht lieb haben könne, hielt er gar nicht für möglich. Er war gewohnt, bewundert zu werden, und sah in ihrer Zurückhaltung nur die natürliche Wirkung des Respektes, welchen sein Reichthum ihr einflößen mußte. Bei nächster Gelegenheit wollte er sich ihre Zusage holen, und dann war der Lieutenant ja gezwungen, nachzugeben.
    Es war an einem Novemberabende. Noch lag kein Schnee, aber der Winter hatte seine Nähe schon längst durch starke Nachtsröste verkündigt, und wen nach eingebrochener Dunkelheit nicht die Nothwendigkeit hinaus in’s Freie trieb, der zog es vor, in der wohlerwärmten Stube zu bleiben. Um diese Zeit galt es für die Beamten und das Militär, ganz besonders wachsam zu sein, da durch den hartgefrorenen Boden das Wildern und Paschen erleichtert wurde und Niemand Gefahr lief, sich durch zurückgelassene Fußspuren zu verrathen.
    Franz war wie gewöhnlich bei Heinrich auf dem Dukatenhof. Die Bewohner desselben hatten sich alle außer dem Lieutenant in der Wohnstube des Bauers zusammengefunden und kürzten sich die Zeit durch allerlei Unterhaltung. Als es zehn Uhr schlug, erhob er sich, um nach Hause zu gehen. Marie, welche genau wußte, wann er sich zu verabschieden pflegte, war vor einigen Minuten in die Küche gegangen und trat ihm draußen im Flur entgegen.
    »Franz!«
    »Ach so! Dich hab’ ich ganz vergess’n. Gute Nacht!«
    »Franz!«
    »Was noch?«
    »Darf ich Dir ‘was sag’n?«
    »Warum denn net? Ich werd’ wohl hören, was!«
    »Du bist jetzt ganz anders ‘worden als sonst.«
    »Anders? Das denkst Du blos! Ich wüßte doch net, inwiefern ich anders sein sollt’. Wie war ich denn früher und wie bin ich jetzt?«
    »Geh’, Franz! Du weißt, daß ich das net sag’n kann. Aber ich wollt’, wir wären wieder allein auf dem Dukat’nhof!«
    »Ist Dir vielleicht der alte Komm’dant net recht?«
    »Der schon! Aber – –«
    »Aber – –?«
    »Ich darf’s net sag’n, Franz!«
    »So sag’ es mir ein andermal, wenn Du darfst. Gute Nacht, Marie!«
    »Gute Nacht!«
    Sie hielt seine Hand länger fest, als für den einfachen Gruß nöthig war. Früher hatte er sie ihr gelassen und oft noch ein Weilchen mit ihr geplaudert; heut’ aber entzog er sie ihr und ging. Es war ihr recht weh zu Muthe; sie mochte nicht wieder in die Stube gehen und stieg hinauf in ihre Kammer.
    Die Worte des Mädchens hatten ihren Eindruck auf den jungen Mann doch nicht verfehlt. Langsam und gesenkten Hauptes schritt er über den Hof und blieb, am Thore angelangt, stehen, um noch einen Blick über das Gebäude zu werfen. Da oben hinter dem kleinen Dachfenster flammte ein matter Lichtschein auf. Er wußte, von wem er herrührte. Sie wollte allein sein, weil ihr das Herz wehe that. Sie litt nicht allein. Auch er fühlte seit einiger Zeit eine Bitterkeit in seinem Innern, die ihm allen Frohsinn, alle seine sonstige Heiterkeit raubte. Hatte ihn doch die Mutter schon öfters gefragt, was ihm fehle, und er hatte zu dieser Frage geschwiegen, denn die einzige Antwort hätte doch nur die sein dürfen, welche ihm vorhin auch von Marien geworden war:
    »Das kann ich Dir net sag’n!«
    Er ging weiter und war dabei so in Gedanken versunken, daß er die leisen Schritte nicht vernahm, welche ihn zu erreichen strebten. Erst als eine leichte Hand sich auf seine Schulter legte, bemerkte er, daß er nicht allein sei.
    »Herr Grunert – –!«
    Er wandte sich um und trat überrascht einen Schritt zurück, als er bei dem Sternenschimmer des unbewölkten Firmamentes Anna erkannte.
    »Sie sind es?« frug er verwundert.
    »Ja!« klang es mit ungewisser Stimme. »Ich muß Ihnen etwas sagen; aber kommen Sie von der Straße weg dorthin in den Schatten. Es darf mich Niemand bei Ihnen sehen, und ich glaube, Sie werden beobachtet.«
    Sie schlüpfte über den Weg hinüber unter einige Bäume, welche an der anderen Seite der Straße standen. Er folgte ihr erwartungsvoll; es war ihm so eigenthümlich wie noch nie, so ängstlich, so

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