Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
wußte Franz, aber er brachte den jähzornigen Charakter Heinrichs und die an jenem Abende stattgefundene Ueberraschung in Rechnung, und da er trotz seiner persönlichen Ueberzeugung den Mörder mit juridischer Sicherheit nicht bezeichnen konnte, so hatte er über Heinrichs Anwesenheit im Walde geschwiegen und gab sich noch jetzt der Hoffnung hin, daß trotz des Vorgefallenen, ja gerade wegen desselben, sobald der Dukatenprinz sich dankbar erweisen wollte, die alte Freundschaft sich von Neuem befestigen werde.
Er fand die Thüre verschlossen. Sie war für Den, welcher mit der Vorrichtung vertraut war, auch von Außen zu öffnen. Er entfernte mit der untergeschobenen Hand den Riegel und trat ein.
»Mutter?« rief er, in der Stube angekommen, wo es vollständig finster war.
Er erhielt keine Antwort und griff daher zu Lampe und Feuerzeug. Als der Schein der ersteren den Raum erhellte, gewahrte er eine lang ausgestreckte Gestalt, welche, von einem weißen Tuche überdeckt, auf dem Lager ruhte. Die Leuchte entfiel seiner Hand und mit einem lauten Aufschrei warf er sich über die Todte hin.
Da trat Jemand vorsichtig tappend durch den Eingang.
»Die Thür steht off’n! Ist Jemand hier?« frug eine männliche Stimme.
»Ja!« antwortete Franz mit unterdrücktem Schluchzen.
»So bist Du’s selber?« Es war der Ortsvorsteher. »Ich hab’ heut’ vom Amte die Nachricht erhalt’n, daß Du kommst, und wollt’ nur seh’n, ob Du auch schon da bist. Wirst wohl gefunden hab’n, wie’s zu Hause steht. Und wenn Du etwa net weißt, wer schuld d’ran ist, so will ich Dir’s sag’n: Du hast sie auf Deinem Gewiss’n!«
Franz war nicht schwach. Er hatte die lange Kerkerhast muthig ertragen; jetzt aber war es nicht nur finster in der Stube, jetzt wurde es auch finster in ihm.
Es war kein stechender, kein brennender, es war ein tauber, stumpfer Schmerz, welcher sich seiner bemächtigt hatte. Ohne zu wissen wozu und wohin, wankte er aus dem Hause und das Dorf hinab. Bei den Bäumen angekommen, in deren Schatten das Verhängniß ihn erfaßt hatte, lehnte er sich müde an einen der Stämme und gedachte des Glückes, welches damals den Pulsschlag seines Herzens verdoppelte. War sie noch hier? Oder hatte sie den Ort verlassen, welcher so traurige Erinnerungen für sie haben mußte? Er schritt dem Dukatenhofe zu, um sich diese Fragen beantworten zu können. Er hatte nichts Böses gethan und Niemand konnte es ihm verwehren, wenn er Zutritt nahm wie früher. Unter dem Thore traf er auf Marie, welche eben im Begriffe stand, den Hof abzuschließen. Es war schon spät.
»Marie, Du? Gut’n Abend!«
»Franz! Wahrhaftig, es ist der Franz!« rief sie und schon rollten ihr auch die Thränen aus den Augen. »Willkommen wieder daheim! Hab’n sie Dich endlich losgeben müss’n?«
»Endlich!« seufzte er tief auf.
»Warst Du auch schon zu Haus’?«
»Ja!«
»Du armer, guter Kerle, wie magst Du da erschrock’n sein!«
»Ist hier Alles daheim?«
»Alles.«
»So laß mich ein!«
»Franz, wirst Du mir bös sein?«
»Warum?«
»Weil ich Dich bitt’, lieber wieder fortzugeh’n. Oder wart’ ein wenig hier auß’n, bis ich gleich wiederkomm’. Ich werd’ Dir Alles erzähl’n!«
»Wart’n? Warum? Sag’s gleich!«
»Die zwei Dukat’nmänner sind net gut auf Dich –«
»So?!« dehnte er. »Weshalb denn?«
»Weil – weil – Du weißt es ja!«
»Sag’s lieber; ich will’s hör’n!«
»Weil – weil der alte Soldat erschossen word’n ist!«
»So!« dehnte er wieder, diesmal aber heiser und tief grollend. »Weiter nix?«
»Und weil – er hat nix davon gesagt, sondern ich denk’ mir’s nur – von weg’n der jungen Bäuerin.«
»Der Heinrich hat geheirathet?«
»Hast Du noch nix davon gehört?«
»Nein! Wer ist die Frau?«
»Du kennst sie auch. Die Anna.«
»Die Anna?« Das Blut stockte ihm in den Adern und hastig frug er: »Welche Anna?«
»Dem Lieut’nant seine.«
Er sagte nichts, aber er legte seine beiden Arme um den Thorpfeiler und preßte den Kopf an die kalten Steine desselben. Sie faßte ihn an, denn sie sah, daß er im Begriffe stand, zusammenzubrechen.
»Franz, was ist mit Dir! Komm, laß die Säule los, ich werd’ Dich schon halt’n!«
Er antwortete nicht. Es war ihm, als habe ein Keulenschlag seinen Kopf getroffen; er wollte sprechen, aber er brachte es nur zu einem unartikulirten Laute, der sich mit einem fast thierischen Klange aus der zusammengeschnürten Brust emporrang.
»Franz, ich
Weitere Kostenlose Bücher