Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten
bitt’ Dich, red’, sag’ nur ein Wort! Nachher wird es Dir wieder leicht.«
Die eine seiner Hände löste sich vom Pfeiler und legte sich auf ihren Kopf. Sie fühlte die Eiseskälte derselben selbst durch das Haar hindurch.
»Marie – – – –!«
Sie konnte sich nicht länger halten und schlang inbrünstig die Arme um ihn.
»Laß ‘s doch geh’n, Franz! Ich hab’ Dich ja lieb, mehr als mein Leb’n!«
»Ich weiß ‘s! Du bist die Einzige, die net an mir gezweifelt hat, und das werd’ ich Dir niemals vergess’n. Sogar die Mutter hat’s geglaubt, was die Leut’ geredet hab’n, sonst hätt’ ich sie heut net todt gefund’n. – Marie, Du weißt’s net, wie mir ist, hier und hier« – er deutete nach der Stirn und dem Herzen – »meine Seele ist weg und meine Gedank’n sind alle; es ist grad’, als ob ein Mühlrad mir durch’s Leb’n gegangen wär’.«
»Das wird wieder anders, Franz, wenn nur ‘mal die erst’n Tag’ vorüber sind! Aber wo willst Du denn bleib’n? Zu Haus’ bei der Leich’ kannst Du doch net sein!«
»Wo anders? Wer soll den Mörder in die Stube nehm’n?!«
»O, wenn ich doch nur net Dienstbot’ wär’, ich ließ’ Dich nimmer fort. Geh’ doch ‘mal zum Herrn Pfarrer! Der weiß in Allem Rath und wird auch für Dich sorg’n.«
»Ich brauch’ kein’ Pfarrer, brauch’ keinen Mensch’n, brauch’ von Niemand nix. Ich geh’ nach Haus’. Bei der Leich’, da ist mein Platz; zur Leich’, da gehör’ ich hin, denn ich bin auch todt!«
Er ging. Das sich ängstigende Mädchen wollte ihn noch zurückhalten, aber er wehrte ihr ab.
»Brauchst keine Sorg’ zu hab’n, Marie! Es ist mir wüst im Kopf, aber ich weiß schon noch, was ich thu’. Schlaf wohl!«
»Gute Nacht, Franz, und laß Dir das Herz doch wieder leichter werd’n!«
Sie blickte ihm nach, so weit sie bei der Dunkelheit es konnte, und schloß das Thor nicht eher zu, als bis der Klang seiner Schritte vollständig verschollen war. In das Haus zurückgekehrt, traf sie auf den jungen Bauer, welcher im Begriffe stand, die Wohnung durch den hinteren Ausgang zu verlassen. Er hatte die hohen Stiefel an und trug einen langen, unter einem Tuche verborgenen Gegenstand in der Hand. Sie wußte, daß er zum nächsten Mittag Wildpret geben würde.
Franz hatte die Straße nicht weit verfolgt; es trieb ihn unwiderstehlich, das, was er gehört hatte, mit eigenen Augen zu schauen. Er bog um das Gut herum und schlich sich durch den Garten nach dem Hofraume, in welchen die hinteren Fenster der Wohnstube führten. Nur mit seinen trüben Gedanken beschäftigt, gewahrte er nicht, daß eine Gestalt ihm folge, die ihn bei dem Uebersteigen des Zaunes bemerkt hatte. Die Stube war erleuchtet und am Tische saßen zwei mit Näharbeit beschäftigte Frauen. Er trat näher; er mußte sie deutlicher sehen, sie, an die er gedacht hatte zu jeder Stunde seines einsamen Gefängnißlebens. Man rückte drinnen die Lampe und ein heller Lichtstrahl glitt über ihn dahin. Jetzt erst erkannte sein Verfolger, wen er vor sich habe.
»Der Franz!« murmelte er. »Er ist wieder da – sie hab’n ihn frei gegeb’n! Er will die Anna seh’n. Nun weiß er, daß sie meine Frau geword’n ist und wird mich verrath’n! Soll ich ihn jetzt wegputz’n?«
Er nahm das Tuch vom Gewehr und legte an; aber nach einigen Augenblicken ließ er die Waffe wieder sinken.
»Nein, der Dukat’n-Heinrich ist net so dumm, daß er sich einsteck’n läßt und nachher seinen Kopf hergibt! Ich weiß was Besser’s, wie man den Franz zum Schweig’n bringt.«
Es war ein teuflischer Gedanke, der ihn erfaßt hatte. Das Terrain war ein von dem Hofe nach dem Garten zu ansteigendes, und in der Nähe des Fensters lagen die abgesägten Stämme zweier Obstbäume, die man ihres Alters wegen vor kurzer Zeit gefällt hatte. Jetzt hatte die eigene Schwere sie noch nicht zu tief in den Boden gedrückt, und es bedurfte also nicht mehr als Manneskraft, einen von ihnen in’s Rollen zu bringen. Einmal in Bewegung gesetzt, mußte er bis an die Mauer rollen und den dort stehenden Beobachter treffen.
Ahnungslos, welch’ eine furchtbare Gefahr ihm drohe, hing dieser mit dem Auge an dem lieblichen, jetzt aber tiefblassen Gesichte der so heiß Geliebten. Was hatte sie bewogen, dem Mörder ihres Vaters ihre Hand zu geben? War es vielleicht die Liebe gewesen? Er konnte keinen anderen Grund finden, er konnte überhaupt gar nicht sinnen und denken, er fühlte nur, daß es finster in
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