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Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten

Titel: Die Rose von Ernstthal. Erzgebirgische Dorfgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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ihm werde, finsterer noch, als es vorhin gewesen war. Da vernahm er ein lautes Getöse, unter welchem der Boden erzitterte, hinter sich – rasch drehte er sich um – ein schmetternder Schlag gegen die Mauer ließ das Haus erbeben – ein furchtbarer, markerschütternder Schrei erschallte durch die Nacht – die That war geschehen.
    Der alte Dukatenbauer fuhr, von dem Lärmen aus dem Schlummer geweckt, von seinem Großvaterstuhle empor; auch die beiden Frauen waren, auf das Heftigste erschrocken, in die Höhe gesprungen; das Gesinde, welches sich vor Kurzem erst zur Ruhe begeben hatte, eilte herbei, und auch Heinrich erschien unter der Thüre.
    »Was ist denn hier unten los bei euch?« frug er. »Das war doch grad’, als ob’s ein Erdbeben gegeb’n hätt’!«
    »Es war net bei uns, es war drauß’n im Hofe,« lautete die Antwort.
    »So müss’n wir nachseh’n. Brennt rasch die Latern’ an!«
    Man folgte dem Gebote und eilte dann hinaus, wo sich den Leuten ein entsetzlicher Anblick bot: Zwischen dem zurückgeprallten Klotze und der Wand lag in einer tiefen, rauchenden Blutlache ein menschlicher Körper, dem die Beine bis herauf an den Leib vollständig zermalmt worden waren.
    »Was ist hier gescheh’n? Wer ist der Mann?« frug der Bauer.
    Heinrich nahm dem Knechte die Laterne aus der Hand und leuchtete dem Verunglückten in das Gesicht.
    »Der Franz ist’s, der Grunert-Franz!« rief er verwundert. »Was hat der hier gewollt? Ist er denn wieder los vom Amte?«
    »Den hat das Holz erschlag’n. Er ist ihm zu nah’ gewes’n und da hat es ihn mit fortgeriss’n. Spannt rasch ein Pferd vor den Wag’n und fahrt nach dem Doktor. Vielleicht ist er noch net todt!«
    »Der Franz? Mein Herrgott, ist das wahr?« rief Marie, indem sie die Anderen zurückdrängte. »Ja, er ist’s! Franz, Franz, was ist mit Dir gescheh’n! O, wärst Du doch nach Haus gegang’n!«
    Sie warf sich trotz des fließenden Blutes über ihn hin und wehrte die Arme zurück, welche sie von ihm wegziehen wollten.
    Auch Anna war mit nach dem Hofe geeilt. Als sie den Namen des Zerschmetterten nennen hörte, riß es ihr die Hände nach dem Herzen. Nur ein leiser Wehelaut entrang sich ihren Lippen, aber es wurde ihr dunkel vor den Augen, die Gestalten der Umstehenden verschwanden in wirbelnden Nebeln, sie wankte und glitt langsam an dem Hause nieder.
    Heinrich sah sie liegen. Er faßte sie und zog sie empor.
    »Was ist denn das mit Dir? Hat Dich wieder ‘mal der Herzwurm angebiss’n! Dem Franz ist nix als nur sein Recht gescheh’n. Sie hab’n ihn losgelass’n, weil er sich auf’s Leugnen gelegt hat, aber wer Mensch’nblut vergießt, dess’ Blut wird auch vergoss’n; so steht es in der Bibel, und was die sagt, das ist wahr. Geh’ Du hinein, Du bist uns hier nix nütze!«
    Er führte sie in die Stube, wo sie kraftlos in den Sessel sank. Das Gesicht in die Hände vergraben, legte sie den Kopf auf den Tisch und ließ den Thränen freien Lauf, die sich zwischen den Fingern Bahn brachen und schwer und langsam auf die Diele niedertropften. Ihr blühendes Leben war seit Monaten schon welk geworden, und heut’, heut’ hatte es den schwersten Stoß erhalten.
3.
Ein Gottesgericht
    Ganz am oberen Ende des Dorfes lag ein kleines Häuschen, einstöckig wie das des Köpfle-Franz, und nur mit Stroh gedeckt; aber es war sauber gehalten, und die Fenster, durch welche das Licht hinaus auf die Straße blitzte, weil die Läden noch nicht geschlossen waren, zeigten kein einziges Fleckchen, welches die Glasscheiben getrübt und verunziert hätte. So blank und reinlich wie diese waren, sah es im ganzen Stübchen aus. Die heute erst frisch gescheuerte Diele war mit grünen Tannenzweigen belegt, Tisch, Bänke und Stühle bis auf’s Weiß gerieben, die Kacheln des alterthümlichen Ofens, in welchem ein lustiges Feuer knisterte, glänzten wie Email und das blecherne Kochgeschirr flimmerte wie feines Silber aus der Ecke hervor.
    Dieser Nettigkeit entsprach auch das Aeußere der Frau, welche am Klöppelkissen saß und mit emsigen, geschickten Fingern die zierlichen Hülsen erklingen ließ. Sie war nicht mehr jung; zahlreiche graue Fäden durchzogen das früher dunkle Haar, aber es lag doch noch wie Jugend auf ihren weichen, regelmäßigen Zügen, und die Wangen zeigten noch immer eine leichte Röthe als den Widerschein der Jahre, die nichts von Falten und Furchen wissen. An der Wand über dem Tische hing das Bild des Heilandes in einfach vergoldetem Rahmen und ihm

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