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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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immer noch keinerlei Verständnis in ihren Zügen ausbreitete, fügte er rasch hinzu: »Das ist in Europa.«
    »Oh!« Sie nickte bewundernd. Offenbar war sie kaum je einem Menschen begegnet, der von so weit angereist war.
    »Mein Name ist Albert Gothmann«, fügte er hinzu, und auch sie stellte sich vor.
    »Rosa«, murmelte sie, »ich bin Rosa de la Vegas.«
    Ein Name wie ein Lied … Wahrscheinlich waren die de la Vegas’ eine alte spanische Adelsfamilie. Dementsprechend elegant war sie auch gekleidet. Das hellblaue Musselinkleid hatte zwar ein paar Flecken abbekommen, aber das tat ihrer Anmut keinen Abbruch.
    »Soll ich Sie nach Hause bringen?«, fragte er.
    Sie dachte eine Weile darüber nach, schüttelte dann jedoch den Kopf. »O nein, besser nicht«, erwiderte sie hastig.
    Er wusste nicht, was er davon halten und nun tun sollte. Unmöglich konnte er sie einfach hier stehen lassen, aber er fand keinen Vorwand, um weiterhin ihre Nähe zu suchen.
    Ehe er eine Entscheidung traf, kam sie ihm zuvor.
    »Sie sind doch noch nicht lange hier, und die Stadt ist Ihnen gewiss fremd, nicht wahr? Ich könnte sie Ihnen zeigen.«
    Es war ein verführerisches Angebot, und er brachte es nicht übers Herz, es auszuschlagen.
    »Nur zu gerne«, stieß er heiser hervor.
    Er ahnte: Wenn er die Stadt durch ihre Augen sah, würde ihm die Kuhscheiße ebenso wenig auffallen wie die heruntergekommenen Häuser. Montevideo würde vielmehr die verheißungsvollste Stadt der Welt sein.
     
    Rosa wusste, dass es klüger gewesen wäre, nach ihrer Befreiung den ursprünglichen Plan umzusetzen, Julio aufzusuchen und mit ihm zu überlegen, wie sie der Heirat mit Ricardo entgehen konnte. Doch ob es nun die Erleichterung nach ausgestandenem Schrecken war, das warme Sonnenlicht, das sie nach der dunklen Schiffshalle als noch belebender empfand, oder die Gesellschaft dieses freundlichen, wenngleich etwas steifen Mannes, der sie nicht wie ein dummes, kleines Mädchen, sondern wie eine Dame behandelte – die Versuchung, das drohende Schicksal für ein paar gestohlene Stunden zu verdrängen und ihre ungewohnte Freiheit auszukosten, war zu groß. Nur allzu bald würde sie wieder die Rosa sein, die von ihrem Vater gegängelt und von den Tanten gemaßregelt wurde – in diesem Augenblick aber wollte sie die erwachsene Rosa sein, die kundige Stadtführerin von Welt, die einem Besucher aus einem fernen Land ihre Stadt zeigte.
    Nun ja, genau genommen war es nicht
ihre
Stadt. Bislang war sie ausschließlich in Begleitung ihrer Familie unterwegs gewesen, und die Straße, die sie nun entlangging, kannte sie nicht einmal. Allerdings ließ sie sich das nicht anmerken, sondern holte tief Luft und begann, alles aufzuzählen, was sie über ihre Heimat wusste.
    »Montevideo wurde einst in gleich großen, rechtwinkligen Vierecken angelegt. Die Straßen sind mäßig breit und gepflastert. Na ja«, sie blickte etwas kritisch auf den Boden, »das Pflaster ist denkbar schlecht …«
    Zwischen den ungleichen Steinen wucherte Dreck, und man geriet leicht ins Stolpern. Albert Gothmann achtete jedoch nicht auf das Pflaster, sondern starrte sie hingerissen an.
    Rosa errötete und fuhr hastig fort: »Sehen Sie dort – am Rand der Straßen gibt es erhöhte Bürgersteige! Seltsam nur, dass dort kein Mensch geht.«
    Möglicherweise lag es daran, dass die Steinplatten, mit denen man diese bedeckt hatte, bei jedem Tritt wankten und zu kippen drohten. Wahrscheinlich war Albert Gothmann viel bessere Wege gewohnt, und sie schämte sich wegen des miserablen Zustands von Montevideos Straßen. Aber dann erreichten sie die Kreuzung von einer der sechs Hauptstraßen und einer der vielen kleinen Gassen, und man sah an beiden Seiten das Meer. Vielleicht lag auch Alberts Heimatstadt Frankfurt am Meer, so genau wusste sie das nicht, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass es einen noch schöneren Anblick als diesen gab, und klatschte in die Hände.
    »Sieh nur, wie das Meer funkelt – es ist, als wäre es von Tausenden Diamanten gekrönt!«, rief sie. In ihrer Begeisterung war sie ganz selbstverständlich zum Du übergegangen, und da er keinen Einwand erhob – wahrscheinlich hatte er es wegen seiner mangelhaften Spanischkenntnisse gar nicht bemerkt –, entschied sie, dabei zu bleiben.
    Sosehr er von ihr bezaubert war – der Anblick des Meers schien ihn wenig zu interessieren. Stattdessen musterte er die Häuser. »Man sieht der Stadt an, dass sie planmäßig erbaut wurde. Noch

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