Die Rosen von Montevideo
rot an, diesmal nicht aus Verlegenheit. »Das ist doch viel zu heiß!«, fügte er keuchend hinzu.
Rosa lachte: »Dabei verbrennt sich fast jeder Fremde, der die Stadt besucht, den Mund.«
Albert wagte nicht, noch einen Schluck zu nehmen, sondern kramte in seiner Jacke und zog schließlich ein kleines Notizbüchlein hervor. Mit ernster Miene schrieb er etwas hinein.
»Was machst du denn da?«, fragte Rosa neugierig.
»Ich schreibe alles auf, was ich hier erlebe. Und was ich über das Land erfahre.«
Eine Weile sah sie ihm zu, doch je länger er schrieb, desto ungeduldiger wurde sie. Sie neigte sich vor, riss ihm das Buch aus der Hand und fing an, daraus vorzulesen, indem sie seine ernste Stimme imitierte: »Das Gebiet östlich vom Río Uruguay hieß bei den Spaniern Östliche Seite – deswegen nennen sich die Menschen dort ›los Orientales‹. In der Zeit der Kolonialherrschaft nannte man das Gebiet die Vereinigten Provinzen des Río de la Plata – Uruguay war damals noch kein eigener Staat, sondern die Banda Oriental del Uruguay, was so viel heißt wie ›das östliche Ufer des Uruguays‹. Bis heute nennen viele Bewohner ihr Land noch so.«
Rosa blickte auf. »Warum schreibst du denn nicht auf, wie lustig die Negerkrausen aussehen?«
Albert ging nicht darauf ein, sondern streckte die Hand nach seinem Notizbüchlein aus. »Nun gib es mir wieder!«
Rosa lachte, wandte sich zur Seite, so dass er das Büchlein nicht an sich bringen konnte, und las weiter: »Der Name Uruguay kommt aus der Sprache der Guaraní – das ist ein Indianerstamm, der heute noch in Paraguay lebt. ›Guá‹ heißt Ort, ›y‹ heißt Wasser, und ›urú‹ heißt bunter Vogel. Man könnte Uruguay folglich übersetzen mit ›Ort des Wassers des bunten Vogels‹ oder mit ›Fluss der bunten Vögel‹.«
Sie blickte ihn zweifelnd an. »Ich habe hier noch nie viele bunte Vögel gesehen.«
Er zuckte die Schultern. »Ich auch nicht«, gab er zu.
Vergebens griff er erneut nach dem Buch. Sie sprang auf, wedelte damit über den Kopf, und einer jähen Eingebung folgend, riss sie eine Seite heraus und zerknüllte sie.
»Was machst du denn da?«, rief er entsetzt.
»Wenn du dieses Land erleben willst, dann musst du die Augen schließen, die Sonne genießen und dir die Geräusche und Gerüche einprägen!«
Er betrachtete sie ebenso verwirrt wie verständnislos.
Sie blickte auf die nächste Seite und las: »Diagonal wird das Land vom Río Negro durchflossen, südlich stößt es aufs Meer und den Río de la Plata, nördlich an den Río Grande Brasiliens und westlich an den Río Uruguay.« Wieder riss sie kurzerhand diese Seite heraus. »Du schreibst über Flüsse, aber siehst nicht, wie das Meer funkelt?«
Er schien protestieren zu wollen, gab es jedoch schließlich seufzend auf, ihr das Büchlein zu entwenden.
»Ich finde es ja durchaus ansprechend, dass die Stadt vom Meer umgeben ist«, murmelte er. »Wobei es, genau betrachtet, nicht das offene Meer, sondern die Mündung des Río de la Plata ist.«
Sie vertiefte sich in sein Büchlein, wo die Namen weiterer Flüsse aufgezeichnet waren. »Es heißt, dass es in manchen Flüssen Krokodile gibt«, sagte sie, »aber ich habe noch nie eins gesehen. Du etwa?«
»Gott bewahre! Es sind gefährliche Tiere.«
»Ach, ich würde gerne eines sehen«, lachte sie, ehe sie sich wieder an den Tisch setzte und weiterlas: »Montevideo hieß ursprünglich San Felipe del Puerto de Montevideo. Die Stadt befindet sich auf einer Landzunge, deren Mitte sich buckelartig wölbt. Es gibt zwei Erklärungen, wie die Stadt ihren Namen bekam. Einige behaupteten, dass man sie ursprünglich Monte-vireo nannte, was man im Altspanischen mit ›Grüner Berg‹ übersetzte. Andere behaupten, dass der Name auf Magellan zurückgeht. Der segelte 1520 mit seiner Flotte durch den Río de la Plata und suchte die Durchfahrt zum Pazifik. Stattdessen stieß er auf einen Berg, den er Monte de San Ovidio nannte, woraus später Montevideo wurde. Eigentlich erstaunlich, dass die Stadt nach einem Berg benannt wurde. Im Grunde ist es bestenfalls ein Hügel – ein sehr niedriger … Gott, davon habe ich ja noch nie gehört! Wer ist denn dieser Magellan?«
Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern riss auch dieses Blatt heraus und zerknüllte es.
»Nun lass das doch!«, rief er leicht gequält.
»Wenn du dieses Land erleben willst – genügt es dann nicht, mich anzusehen, dir meine Züge einzuprägen und immer an mich zu
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