Die Rosen von Montevideo
verbieten wollen.
»Begreif doch, Vater«, hatte er erklärt. »Wenn man als Bankier heutzutage Erfolg haben will, braucht man Kapital. Und das Kapital kommt aus dem Handel, und wenn man keine entsprechenden Beziehungen in Europa hat wie wir, dann müssen wir den Handel in Übersee nutzen. In Montevideo sind kaum deutsche Kaufleute tätig, von ein paar Hamburgern und Bremern abgesehen. Es ist möglich, eine Nische zu entdecken und zu nutzen.«
Albert Gothmann senior hatte ihn schließlich zähneknirschend ziehen lassen, und Albert junior hatte bis zuletzt verheimlichen können, dass ihn nicht nur das Geschäft antrieb, sondern das Fernweh, vor allem, seit er ein Gemälde von Montevideo gesehen hatte – einer Stadt in der Nähe von Stränden, Palmen und schimmerndem Meer. Wenn sein Vater ihn jetzt gesehen hätte, hätte er wohl gehöhnt, dass die Strände außerhalb der Stadt lagen, die Palmen rar waren und das Meer im Hafen wie eine Kloake stank. Überdies wurde der Blick auf die funkelnde Weite von dem ständigen Gedränge verleidet.
Wieder brach Albert der Schweiß aus, aber anstatt erneut sein Spitzentaschentuch zu zücken, zog er es vor, sich ein ruhigeres Fleckchen zu suchen. Dort hinten bei den Lagerhäusern waren zwar einige Männer zugegen, um Waren ein- und auszuladen, doch die meisten Hallen waren verschlossen und die Wege davor menschenleer.
Albert stellte sich vor eines dieser Lagerhäuser, atmete tief durch und schloss kurz die Augen. Es glich einem Überlebenskampf, durch die Stadt zu gehen, und das jetzige Innehalten fühlte sich wie eine Atempause in einer ewig andauernden Schlacht an.
Ja, hier war er in Sicherheit vor Lärm, Gedränge und Gestank. Zumindest glaubte er das, bis er plötzlich lautes Geschrei vernahm – aus dem Mund einer Frau.
»Hilfe!«, schrie sie ein ums andere Mal. »So helft mir doch!«
Der Schrei kam von drinnen. Albert lugte durch die Ritzen der Lagerhalle und konnte mehrere Männer erkennen, die eine junge Frau festhielten. Als sie erneut um Hilfe schrie, schlug einer ihr ins Gesicht.
»Maul halten!«, knurrte der Mann. »Wenn du dich still verhältst, kommst du heil aus der Sache raus.«
»Alejandro de la Vegas’ Tochter – was für ein Fisch am Haken!«, rief ein anderer.
»Und deswegen müssen wir genau überlegen, wie wir vorgehen.«
»Mein Vater wird euch alles geben, was ihr wollt«, rief das Mädchen dazwischen.
Albert erschauderte. Er hatte den Namen de la Vegas schon einmal gehört – er war ein ziemlich einflussreicher hier in Montevideo. Offenbar hatten die Männer das Mädchen entführt, um ihren Vater zu erpressen.
Am liebsten wäre Albert unauffällig geflohen. Bis jetzt hatte er sich aus jedem Händel herausgehalten, von denen es hierzulande viele gab. Allerdings war er dazu erzogen worden, Frauen zu schützen.
Mit aller Macht unterdrückte er sein Unbehagen, stieß die Tür zur Lagerhalle auf und streckte seinen Rücken durch, um sich so groß wie möglich zu machen. »Was geht hier vor?«, rief er streng.
Die Männer fuhren herum und blickten ihn wütend an.
Erst jetzt sah er die Armbinden, die sie als Blancos, vielleicht sogar als Argentinier auswiesen. Ihre Stiefel und Ponchos ließen darauf schließen, dass sie Viehzüchter waren – und falls sie tatsächlich aus dem Nachbarland kamen, hatten sie als solche nichts zu verlieren. Während die Engländer dafür sorgten, dass Montevideo für die Kaufleute aller Welt zugänglich war, blockierten sie die argentinischen Häfen: Die dortige Wirtschaft hatte schlimm darunter zu leiden – und betroffen waren vor allem die Viehhändler.
In ihren Mienen stand keinerlei schlechtes Gewissen, weil er sie bei dieser Untat ertappt hatte, sondern die Gier eines Raubtiers, das seine Beute mit allen Mitteln verteidigen würde.
Gott, warum habe ich mich nur eingemischt?
Übermächtig wurde der Drang, wieder rückwärts ins Freie zu treten und davonzurennen. Aber dann fiel sein Blick abermals auf das Mädchen, und er musterte es genauer. Die Engländer hatten ihn vor den Frauen Uruguays gewarnt: Jene würden nur nach äußerer Eleganz streben, wären ansonsten aber unzivilisiert, derb und dreckig wie Bäuerinnen. Dieses Mädchen musste jedoch auch auf jeden Europäer ungemein anziehend wirken. Wer konnte es betrachten und nicht seine Anmut rühmen, die dunklen Augen, die lebendig funkelten, die scharf geschnittene Nase, den zierlichen Mund, das üppige, glänzende Haar?
»Also, was geht hier
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