Die Rosen von Montevideo
vor?«, brüllte Albert energischer, als ihm zumute war.
Einer der Männer trat auf ihn zu, hob die Hand und schlug ihm auf die Brust. Es war nur ein nachlässiger Stoß, mehr Warnung als ernsthafter Angriff, doch Albert geriet ins Stolpern.
»Misch dich nicht ein, ja?«
»Ein Mann mit Ehre kann sich unmöglich heraushalten, wenn ein Mädchen so schändlich behandelt wird.« Er war stolz, dass er die spanische Sprache fast fließend beherrschte, wenngleich sie ihn natürlich nicht vor den Männern retten würde.
»Soso«, spottete der eine, »wenn du so viel Ehre im Blut hast, besitzt du dann auch eine Waffe, um sie notfalls zu verteidigen?«
Das nun leider nicht. Albert zauderte, ehe sein Blick erneut auf das Mädchen fiel, das ihn so verzweifelt anblickte und sogleich so hoffnungsvoll. Für gewöhnlich wurde er von Frauen nicht betrachtet, als taugte er zum Helden. Als Bankierssohn galt er als gute Partie, und die Blicke, die auf ihn fielen, waren meist berechnend.
Erneut bezähmte er den Drang, zu fliehen. »Ich habe keine Waffe, sondern Geld. Ihr wollt offenbar ihren Vater erpressen, lasst mich das Lösegeld zahlen.«
Jener, der das Mädchen geschlagen und danach festgehalten hatte, stieß sie zurück und trat auf ihn zu. Zwar hatte er genau das gehofft, aber als er in das gefurchte Gesicht starrte, packte ihn die Angst.
»Wir wollen kein Geld, sondern die Herausgabe der argentinischen Verräter.«
»Das heißt, ihr würdet das Geld lieber liegen lassen?«
Verwirrung breitete sich in den Gesichtern aus. »Was heißt liegen lassen?«
Während er gesprochen hatte, hatte Albert in seinen Hosentaschen gewühlt. Sie waren voller Münzen, und zum ersten Mal war er dem Umstand dankbar, dass hier kaum Papiergeld in Gebrauch war. Nun warf er die Münzen hoch, die prompt zu allen Seiten herabregneten, und auf die niedrigen Instinkte der Männer war Verlass: Wie erhofft, bückten sie sich, um die Münzen einzusammeln.
Er wollte dem Mädchen ein Zeichen geben, zu fliehen, doch das war ohnehin bereits losgestürmt. Eben flitzte es an einem der vielen Boote vorbei, doch bevor es zum Ausgang kam, sprang der, der es vorhin festgehalten hatte, auf. »Halt!«, rief er streng und streckte seine Hand nach dem Mädchen aus.
Albert hatte keine Ahnung, was er nun tun sollte – im Zweikampf würde er ohne Zweifel unterliegen. Doch das Mädchen wusste sich selbst zu helfen, zog etwas aus dem Fischerboot und warf es über den Argentinier. Albert erkannte, dass es ein Netz war, in dem sich der Mann verhedderte. Er stolperte, ging zu Boden.
Im nächsten Augenblick stand das Mädchen vor ihm. Albert war wie erstarrt.
»Nun rennen Sie doch!«
Das ließ er sich kein zweites Mal sagen. Er preschte los, kam aber dem Mädchen kaum nach. Sie lief viel schneller als er, und auch als sie die Lagerhalle längst hinter sich gelassen und eine belebtere Gegend erreicht hatten, hörte sie nicht zu rennen auf. Erst als das Gewühl so dicht wurde, dass sie kaum mehr vorankam, hielt sie schnaufend inne. Ihm selbst pochte das Herz bis zum Hals, seine Brust schien zu zerspringen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so schnell gelaufen zu sein.
Kurz stützte er sich an einem Brunnen ab, und als er wenig später den Kopf wieder hob, war von dem Mädchen weit und breit nichts zu sehen. Er war tief enttäuscht und wollte sich schon seines Weges machen, als er es doch noch im Schatten eines Hauseingangs entdeckte.
Ihre Schultern zuckten, und er dachte, dass sie vor lauter Schreck zu weinen begonnen hätte, doch als er vorsichtig seine Hände auf ihre Schultern legte – selten hatte er eine Frau so vertraulich berührt –, fuhr sie herum und lachte aus voller Kehle.
»Haben Sie ihre Gesichter gesehen? Wie dumm sie dreingeblickt haben!«
Sie hatte eine hohe, melodische Stimme, die ihn verzauberte.
»Es war sehr mutig von Ihnen, das Netz über den Mann zu werfen …«, setzte er an. Sein Spanisch war eben noch flüssig gewesen, doch nun rang er nach jedem Wort. Sein Hals war trocken – nicht nur vor Anstrengung, auch von dem Anblick ihrer sanft geröteten Wangen.
»Sie aber auch! Die Männer waren Blancos, vielleicht sogar Argentinier.«
»Das dachte ich mir schon.«
Die junge Frau musterte ihn neugierig. »Sie sind nicht von hier, oder?«
»Ich komme aus Frankfurt.«
Sie blickte ihn fragend an. »Liegt das in Brasilien oder Argentinien?«
Er musste lachen. »Nein, es ist eine deutsche Stadt«, erklärte er schnell, und als sich
Weitere Kostenlose Bücher