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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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und verzweifelt zugleich und gab ihr eine Ahnung davon, wie wenig Liebe er von diesem Mann bekommen hatte. Das bestätigten auch seine nächsten Worte: »Ich habe ihn verlassen, sobald es möglich war. Eigentlich wollte er mich nicht gehen lassen, weil ich auf seinem Hof eine nützliche Arbeitskraft war. Darum habe ich mich als Freiwilliger zum Heer gemeldet – es war die einzige Möglichkeit, ihm zu entkommen –, und von dort bin ich in den Polizeidienst gewechselt.«
    Claire versuchte, ihn sich als kleinen Jungen vorzustellen, der mit seinem Vater dieses Land erforscht hatte, mit nackten Füßen durch die Lagunen gestapft war und später mit ihm am Lagerfeuer gesessen hatte. Wahrscheinlich hatte er damals noch viel gelacht, seine Gefühle noch offen gezeigt und sich den kindlichen Glauben, dass das Leben herrlich war, bewahrt. In der harten Zeit, die später folgte, hatte er jedoch jedes Zeichen von Schwäche verbergen müssen und war auf diese Weise zu einem Mann gereift, der stoisch seine Pflicht tat und niemandem einen Blick in die verwundete Seele erlaubte. Tief in ihm, das ahnte sie plötzlich, musste noch das ausgelassene, fröhliche Kind stecken, und in ihr erwachte das Verlangen, es hervorzulocken, zum Lachen zu bringen, ja, an seiner Seite selbst wieder zum Kind zu werden – und zwar nicht zu dem vernünftigen, das sie einst gewesen war, das immer ein Auge auf die wilde Valeria hatte werfen müssen und das unter der frostigen Mutter gelitten hatte, nein, vielmehr ein Kind, das tun und lassen konnte, was es wollte, das auf niemanden Rücksicht nehmen musste und die Welt voller Neugierde erkundete.
    Während sie diesen Gedanken nachhing, regte sich ihr schlechtes Gewissen, dass ausgerechnet jetzt, da sie Valeria suchte, jener Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung laut wurde. Aber sie konnte es nicht leugnen: So auf sich allein gestellt, erwachte etwas in ihr, was sie bislang nicht kannte. Trotz aller Sorgen – nie hatte sie geglaubt, so sehr sie selbst zu sein wie in diesen Tagen mit Luis, der keine Erwartungen an sie stellte.
    Ehe sie noch etwas sagen konnte, sah sie, dass die Truppe Soldaten stehen geblieben war und einer von den Männern ihnen entgegenritt. Seine Miene war ausdruckslos wie immer, doch seine Haltung wirkte verändert – irgendwie erregter.
    »Haben Sie eine Spur?«, rief Claire aufgeregt.
    Der Mann nickte. »Wir haben einen Späher ausgeschickt, und der hat eine Gruppe Männer entdeckt …«
    »Das sind gewiss Valerias Entführer!«
    Erleichterung machte sich in ihr breit, doch Luis’ Miene blieb ernst. »Und jetzt?«, fragte er angespannt.
    »Wir werden uns an ihre Fersen heften, sie heimlich beobachten. Falls es tatsächlich diese Banditen sind, werden wir sie in der Nacht angreifen. Dann können wir sie am ehesten überraschen.«
    Claires Herz hatte eben noch aufgeregt gepocht, jetzt überwältigten sie wieder Angst und Sorge, die sich auch auf Luis’ Miene widerspiegelte. Wenn sie die Männer nicht überraschen würden und jene die Bedrohung witterten, war Valeria womöglich in höchster Gefahr.
     
    Nachdem sie mehrere Wochen unterwegs waren, war das Reiten für Valeria nicht länger eine Qual. Ihre Glieder hatten sich an die Strapazen gewöhnt, der Rücken tat nicht mehr weh, ihre Beine und Arme waren sehniger geworden. Der Wind, der stetig Staub und Sand ins Gesicht wehte, setzte ihr zwar zu, aber zumindest musste sie nicht mehr in ihrem zerrissenen Kleid frieren: Nahe der Grenze kaufte Pablo in einem kleinen Geschäft frischen Proviant für die Truppe und Valentín ein Hemd, Hosen und Stiefel für sie – allesamt Kleidungsstücke, die für einen kleinen Mann gemacht waren. »Frauenkleider sind hier nicht zu haben«, erklärte er fast entschuldigend.
    Sie nahm die Kleidung mit stoischer Miene entgegen. »Frauenkleider sind auch denkbar unpraktisch zum Reiten.«
    Sie ging hinter einen Busch, um sich die Kleider anzuziehen – und wurde von neugierigen Blicken verfolgt; insbesondere der Schwarze und Pablo glotzten sie aufdringlich an. »Lasst sie in Ruhe!«, fauchte Valentín, und tatsächlich senkten die Männer ihre Blicke.
    In den neuen Kleidern fühlte sich Valeria etwas unwohl, aber das wollte sie ebenso wenig zeigen wie ihre Angst und Verzweiflung – und ihre Ungeduld: Sie wartete nun täglich darauf, dass Jorge seinen Plan umsetzen würde, doch obwohl sie nun in der Nähe der argentinischen Grenze waren, sprach er sie nie wieder darauf an. Manchmal glaubte

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