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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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sie schon, sie hätte ihn damals in der Nacht falsch verstanden, manchmal hielt sie es für wahrscheinlicher, dass ihn der Mut verlassen hatte. So oder so, sie konnte nicht auf ihn zählen.
    Eines Tages kamen sie zu frischen Gräbern – Hügeln aus roter Erde mit windschiefen Kreuzen. Pablo war bei ihrem Anblick sehr aufgebracht und schloss mit hörbarer Kampfeslust, dass neue Gefechte stattgefunden haben mussten – Valentín dagegen schüttelte traurig den Kopf und sagte so leise, dass nur Valeria es hören konnte: »Was für eine unnütze Verschwendung von Leben. Wie viele Soldaten müssen noch sterben?«
    Sein sichtlicher Kummer rührte sie, doch das wollte sie ihm nicht zeigen. »Ich habe gehört, dass euresgleichen Männer aus Uruguay zwangsrekrutieren – und die werden in den Schlachten rücksichtslos verheizt.«
    Er wirkte entsetzt. »Das ist doch nur ein übles Gerücht!«, rief er.
    »Nun, dass ihr gewaltsam Menschen entführt, kann ich selbst bezeugen.«
    »Selbst wenn es so wäre, ist es kein Verbrechen, das nicht auch die Gegenseite begeht. Auch paraguayische Kriegsgefangene wurden zwangsrekrutiert, und wenn sie desertierten, grausam hingerichtet. Euer General Flores selbst hat das angeordnet.«
    Valeria wollte schon einwenden, dass Flores ganz sicher nicht »ihr« General war, doch sie besann sich einer anderen Sache, mit der sie ihn mehr treffen konnte: »Wenn sie nach Paraguay zurückkehrten, wurden sie erst recht hingerichtet, weil sie in einem feindlichen Heer gedient haben.«
    Zu ihrem Erstaunen widersprach Valentín nicht, sondern nickte düster. »Das stimmt. Der Krieg ist eine grausame Sache.«
    »Warum machst du dann mit?«
    »Weil ich keine Wahl habe. Durch den Krieg habe ich alles verloren.«
    Valeria fühlte sich beschämt, weil er nicht streitlüstern wirkte wie sie, sondern tief verletzt, aber das konnte sie ihm erst recht nicht zeigen. »Natürlich hast du die Wahl«, erwiderte sie schnippisch. »Du könntest mich freilassen.«
    Er schüttelte den Kopf. »So gerne ich es täte – ich kann es nicht. Es war nicht meine Idee, und ich heiße sie nicht gut. Aber ich werde meinem Bruder nicht in den Rücken fallen – er ist der Einzige, der mir geblieben ist.«
    »Geblieben von was?«
    Ehe er etwas sagen konnte, ertönte ein spöttisches Lachen. Sie hob den Blick und sah, dass Pablo sie fixierte. Vorhin bei den Gräbern hatte er zornig gewirkt, jetzt traf Valentín und sie sein kalter Hohn.
    »Lass dir von ihr bloß nichts einreden. Vor allem kein Mitleid. Raffgierige Sippen wie die de la Vegas’ tragen doch die Schuld am Krieg.«
    Der Hass traf Valeria wie giftige Pfeile, aber sie ahnte plötzlich, dass sich dahinter mehr verbarg als nur Kälte, Roheit und Gewissenlosigkeit – eine Seele, die ähnlich verwundet war wie die vom Krieg betroffenen Länder. Allerdings verdiente er ihr Mitgefühl so wenig wie Valentín. Sie senkte den Blick, presste die Lippen zusammen und schwieg den Rest des Tages.
    An jenem Abend rasteten sie in einem der immer dichteren Wälder. Die Bäume hier waren nicht trocken und kahl, sondern dunkelgrün und wuchsen auf feuchtem Boden, in dem die Hufe der Pferde versanken. Mückenschwärme verdunkelten die Luft, und obwohl sie wieder eine Zigarette rauchte, war Valeria in kurzer Zeit von Stichen übersät.
    Trotz des Surrens war sie zu müde, um lange davon wach gehalten zu werden. In den letzten Nächten hatte sie zu tief geschlafen, um zu träumen, heute jedoch tauchten in der abgrundtiefen Schwärze plötzlich Gräber auf. Es wurden immer mehr und mehr, die Erde öffnete sich, Tote stiegen blut- und dreckverkrustet aus der Tiefe. Vergebens versuchte sie, vor ihnen zu fliehen, sie lief einfach nicht schnell genug … wurde gepackt … gerüttelt.
    Entsetzt schrie sie auf, da legte sich eine Hand um ihren Mund.
    »Pst, kein Laut!«
    Sie riss die Augen auf. Jorge beugte sich über sie. Sie hatte vorhin nicht bemerkt, dass er zur Nachtwache eingeteilt worden war.
    »Was …«, setzte sie an, als er seine Hand wieder zurückzog.
    »Heute ist die letzte Gelegenheit. Ich habe das Pferd schon losgebunden, jetzt müssen wir uns leise davonschleichen.«
    Valeria stockte der Atem – also hatte er an dem Plan, mit ihr zu fliehen, festgehalten. Sie blickte sich um, aber die anderen schliefen.
    Ihr Kopf schmerzte, als sie sich erhob, doch sie achtete nicht darauf. Der schlammige Boden dämpfte ihre Schritte, nur dann und wann knackte ein Ast unter ihrem Gewicht.

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