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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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gibt – wir könnten jederzeit in einen bewaffneten Konflikt geraten. Besser, Sie kehren um.«
    Einmal mehr wies Claire dieses Ansinnen zurück, und gottlob hatte der Mann keine Lust, mit ihr zu streiten. Leider stießen sie in den nächsten Tagen auf keine neuen Spuren, und die anfängliche Aufregung wich der Hoffnungslosigkeit.
    Luis war ein zu aufrichtiger Mann, um ihre düstere Stimmung mit leeren Versprechen aufzuhellen, aber er setzte alles daran, um sie abzulenken – und das gelang am besten, indem er ihre Neugierde auf dieses fremde, wilde Land anstachelte. Trotz der Umstände freute sie sich darüber, es Tag für Tag aufs Neue zu erforschen und mehr von den Tieren zu erfahren, die es bevölkerten.
    Zu ihrer Überraschung schien Luis ihr Interesse für die Naturwissenschaft zu teilen, denn er erkannte die vielen unterschiedlichen Vögel, die am Himmel kreisten, allein schon aufgrund des Klangs ihrer Rufe.
    Als sie einmal auf ein verendetes Vizcacha stießen, stieg Claire vom Pferd und warf es in die Wiese. Sie wusste, dass es lächerlich war, aber es wäre ihr als schlechtes Omen erschienen, wenn die Hufe ihres Tieres es zertrampelt hätten. Luis verspottete sie nicht, erklärte nur, dass kaum ein Tier so weiches Fleisch biete wie diese Pampakaninchen.
    »Aber es ist so gut wie unmöglich, sie zu jagen«, fuhr er fort, nachdem er Claire wieder aufs Pferd geholfen hatte, »denn sie verlassen nur nachts ihren Bau. Außerdem sind sie blitzschnell.«
    »Das klingt so, als hättest du es schon öfter vergeblich versucht«, sagte sie.
    »Früher«, antwortete er knapp.
    Ihr ging einmal mehr auf, dass sie nicht viel von ihm wusste, weder wie und wo er aufgewachsen war, noch wie oft er schon durch dieses Land geritten war. Ehe sie fragen konnte, ertönte lautes Rascheln und Flügelschlagen, und nicht weit von ihnen stoben mehrere Vögel davon.
    »Das waren Caranchos oder Erdeulen«, erklärte Luis. »Auch sie sind schwer zu fangen, denn sie fliegen sofort weg, wenn man ihnen näher kommt. Aber sie haben auch nicht so gutes Fleisch zu bieten, da macht es nicht so viel aus.«
    »Ich glaube, ich habe so einen Vogel im naturwissenschaftlichen Museum betrachtet – er sieht aus wie ein Adler, hat einen weißen Schnabel, ein rotes Gesicht und gelbe Beine, nicht wahr?«
    »Ja, und er ist ständig auf der Jagd nach Heuschrecken und Feldmäusen. Am liebsten allerdings ist ihm frisches Aas.«
    Eine Weile ritten sie schweigend. Mehrmals musterte Claire ihn scheu von der Seite, bevor sie sich ein Herz fasste und fragte: »Woher kennst du all diese Tiere? Es klingt, als wärst du schon oft in der Pampa unterwegs gewesen.«
    Er nickte. »Als Kind bin ich mit meinem Vater regelmäßig ins Umland von Montevideo geritten. Die sumpfigen Niederungen um die Bäche sind reich an Schnepfen und locken viele Jäger an. Mein Vater hat mir alles beigebracht – über die Jagd und die vielen Tiere, die hier leben. Schau doch nur dort hinten! Da wird eine tote Kuh gerade von einem Carancho beseitigt – oder von einem Chimango, ich bin mir nicht ganz sicher.«
    »Eine Falkenart«, murmelte Claire. Von der Kuh war kaum mehr etwas anderes zu erkennen als das Gerippe, dessen Anblick sie erschaudern ließ.
    »Mit meinem Vater bin ich auch oft zu den Lagunen im Landesinneren geritten, die von Flamingos, Enten, Schwänen und Ibissen bevölkert werden.«
    Seine Stimme nahm einen sehnsuchtsvollen Klang an – offenbar hatte ihm das Beisammensein mit ihm noch mehr bedeutet als die Jagd selbst.
    Claire zögerte wieder eine Weile, ehe sie fragte: »Jagst du noch immer mit deinem Vater?«
    Luis wich rasch ihrem Blick aus. »Er ist gestorben, als ich zwölf Jahre alt war.«
    Sein Gesicht wurde ausdruckslos wie so oft, aber sie ahnte, wie viel Trauer sich in diesem Satz verbarg. Gerade, weil er sie nicht zeigte, konnte sie seinen Schmerz förmlich spüren.
    »Das tut mir leid«, flüsterte sie. Um Antonie hatte sie nicht sonderlich tief getrauert, aber die Vorstellung, ihren Vater zu verlieren, war unerträglich.
    »Die Zeit danach war hart«, fuhr er mit gepresster Stimme fort. »Meine Mutter war eine einfache, ehrbare Frau und hat nach Leibeskräften versucht, uns beide durchzubringen. Doch auch sie ist nicht alt geworden, und da ich keine Geschwister hatte …« Er brach ab.
    »… warst du danach ganz allein auf der Welt«, schloss sie an seiner statt.
    »Ich bin bei einem entfernten Onkel aufgewachsen.« Seine Stimme klang plötzlich grimmig

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