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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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zerstört. Es gibt keine Schiffe mehr, kein Telegraphennetz, die Hauptstadt …«
    »Die Hauptstadt ist relativ intakt«, wandte Valeria ein, »das habe ich von vielen Seiten gehört. Und es gibt noch die Eisenbahn, die den Krieg gut überstanden hat und in die die Briten nun investieren. Vielleicht kannst du dort Arbeit finden.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein … nein, ich will nie wieder nach Paraguay zurückkehren, ich will das Land so in Erinnerung behalten, wie es einmal war. Außerdem kenne ich dort keine Seele mehr und wäre ein Heimatloser wie hier.«
    Er hatte nie wieder von Pablo und dessen Truppe gehört, und sie gingen davon aus, dass sie alle wie die meisten Männer seines Alters gefallen waren.
    »Wir könnten nach Argentinien oder Brasilien auswandern«, schlug Valeria leise vor.
    Sie hatten gehört, dass das viele Paraguayer taten, wenn auch nicht alle freiwillig: Den paraguayischen Kriegsgefangenen wurde mit Glüheisen das Sklavenmal eingeprägt, und sie wurden zur Arbeit in die Kaffeeplantagen von São Paulo verschleppt.
    »Warum in ein fremdes Land gehen?«, fragte Valentín. »Warum lassen wir uns nicht in Montevideo nieder? Dann bleibst wenigstens du in deiner Heimat.«
    Eigentlich war es ihr nie eine Heimat gewesen, das war Deutschland, aber daran verbat sie sich jeden Gedanken. Sie wollte Valentín nicht noch mehr zusetzen, indem sie ihm erklärte, wie sehr sie sich nach den grünen Wäldern und sanften Hügeln des Taunus sehnte. Er hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen, weil sie an seiner Seite ein so elendes Leben führte, und immer wieder musste sie ihm beteuern, dass es ihre Wahl gewesen war, sie diese aus Liebe getroffen hatte und nicht bereute.
    »Wie sollen wir dort überleben?«, fragte sie zweifelnd.
    »Viele zieht es vom Land dorthin«, erwiderte er. »Nun, da der Krieg zu Ende ist, werden die Briten wieder investieren, vor allem in den Export von Rindfleisch. Ich bin mir sicher, ich werde Arbeit finden. Und wenn ich es hier so lange verheimlichen konnte, dass ich Paraguayer bin, werde ich es in Montevideo auch schaffen. Und vielleicht könntest du …«
    »Nein«, fiel sie ihm ins Wort, »ich werde meine Familie nicht besuchen und um Hilfe bitten. Nach allem, was sie mir angetan haben, will ich nie wieder etwas mit den de la Vegas’ zu tun haben. Es ist gut, dass sie mich für tot halten.«
    »Aber du bist einverstanden, nach Montevideo zurückzukehren? Die Stadt ist groß genug, um den de la Vegas’ aus dem Weg zu gehen.«
    Valeria starrte wieder auf den Horizont. Der Wind hatte Staub hochgewirbelt, dahinter erschien die untergehende Sonne noch größer. Carlota hatte es aufgegeben, ein Kaninchen zu jagen, und stattdessen Disteln gepflückt. Stolz kam sie auf Valeria zugelaufen und überreichte ihr den Strauß, als wären es die schönsten aller Blumen.
    Valeria blickte sie an und rang sich ein Lächeln ab. »So muss man es mit dem Leben halten«, sagte sie leise. »Man muss sich am Unkraut erfreuen, als wären es Rosen.«
    Sie schloss ihre Tochter in die Arme und ließ nicht zu, dass die Angst vor der Zukunft sie ganz und gar überwältigte.
    Sie hatte ihre Tochter, sie hatte Valentín, sie war gesund – und sie war frei. Nein, sie würde nicht darüber nachdenken, welchen Preis sie dafür bezahlen musste.
    »Gut«, willigte sie ein, »lass uns zurück nach Montevideo gehen.«

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    Drittes Buch
    Carlota und Tabitha – die ungleichen Schwestern
1888 – 1889
    30. Kapitel
    T abitha schlich in den Stall. Stroh raschelte unter ihren Füßen, in der Luft hing der durchdringende Geruch nach Pferdeäpfeln – viel würziger, als sie gedacht hatte. Eigentlich hatte sie mit Gestank gerechnet, doch nun wurde sie an die satten Wälder des Taunus erinnert, und der bislang strikt gemiedene Stall wurde zu einem Stück vertraute Heimat in Montevideo. Wobei – das Heimweh hatte sich bis jetzt in Grenzen gehalten. Überhaupt bliebe sie viel lieber für immer hier, wo die Menschen lauter waren, das Licht heller und das Leben abwechslungsreicher – und vor allem: abenteuerlicher.
    Sie beschleunigte ihren Schritt, obwohl sie bis vor kurzem niemand hätte dazu bringen können, in den Stall zu gehen. Seit sie als junges Mädchen bei einer ihrer ersten Reitstunden abgeworfen worden war, hatte sie schreckliche Angst vor Pferden. Keine Macht der Welt hatte sie danach zurück in den Sattel gebracht, und ihre Großeltern hatten sie auch nicht weiter bedrängt: Ein Mädchen aus gutem

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