Die Rosen von Montevideo
Frau in der Bibel, die vom Apostel Petrus vom Tode erweckt wurde. Es ist ein guter Name, nicht wahr?«
»Tabitha«, wiederholte Albert.
Rosa streichelte sanft über das Köpfchen. »Ich möchte nicht hierbleiben.«
»Wir können ein Hotelzimmer beziehen.«
»Nein, ich meine, ich möchte nicht in Montevideo bleiben. Ich ertrage es nicht, meine Familie in der Nähe zu wissen. Julio … meinen Vater, diese schreckliche Leonora. Und dann ist da außerdem dieser grausame Krieg. Tabitha soll in Frieden aufwachsen. In unserem Landhaus im Taunus. Sie soll ein glückliches Kind werden.«
Ihre Hand wanderte tiefer, streichelte nun über die Händchen, die sich im Schlaf zu Fäusten geballt hatten, und Albert tat es ihr gleich, so dass sich ihre Finger berührten. Sie unterdrückte die erste Regung, ihre Hand zurückzuziehen, sondern erlaubte es Albert, sie zu nehmen.
»Werden wir es diesmal besser machen?«, fragte er leise.
Sie erwiderte seinen Blick. Jener Groll wider ihn hatte so lange in ihrem Herzen gewuchert, dass sie ihn nicht einfach ablegen konnte, aber von nun an würde sie ihn mit aller Macht unterdrücken.
»Wir müssen es«, sagte sie entschlossen, »wir müssen es diesmal besser machen. Das sind wir Valeria schuldig.«
Das Kind gluckste im Schlaf, als ahnte es, dass es nicht nur Unschuld und Zartheit verhieß, sondern einen Neuanfang. Rosa wusste: Sie konnte Albert nicht lieben, wie sie ihn einst geliebt hatte, als er sie in dieser Stadt vor den Argentiniern gerettet hatte. Sie konnte nicht vergessen, dass er sich in den ersten Jahren in Frankfurt immer mehr von ihr distanziert und Fabien getötet hatte. Aber sie konnte versuchen, ihm zu verzeihen. Und sie würde in ihm nicht länger den Mörder sehen, sondern den Großvater.
»Ich habe dich immer geliebt, Rosa …«, stammelte er.
Sie brachte es nicht über sich, das Bekenntnis zu erwidern, entzog ihm aber ihre Hand auch weiterhin nicht und sagte: »Jetzt werden wir Tabitha all unsere Liebe geben.«
29. Kapitel
V aleria ließ den Blick über die Viehherde und die Landschaft schweifen. Die Gegend um San José war karg und kahl: Der Boden war mit jenem rötlich braunen Gestein bedeckt, das hier überall langsam verwitterte. Über weite Strecken klaffte die nackte Erde, nur in der Ferne, wo eine dunstige Linie den Übergang vom Grüngelb der Steppe zum blassen Blau des Himmels markierte, wuchs kniehohes Gras. Im Winter stand es gelb und vertrocknet, im Sommer saftig und grün, doch selbst dann schlugen unfruchtbare Sandstrecken breite Schneisen. Etwas farbenprächtiger war das Land nur rund um die wenigen kleinen Seen und schilfbewachsenen Senken.
Trotz der Eintönigkeit und Schlichtheit – Valeria hatte das Land lieben gelernt, und für gewöhnlich verhieß es Freiheit und Frieden, in jene karge Weite zu blicken. Nur heute konnten der Geruch nach trockener Erde und der stete Wind nicht die Unrast in ihrem Herzen besänftigen, und anstatt wie so oft ruhig dazustehen, schritt sie besorgt auf und ab.
Drei Jahre waren seit der Geburt der Zwillinge vergangen. Wenig später hatte sie Valentín kaum einen Tagesmarsch von Montevideo entfernt gefunden. Ob es ihr Anblick war oder der des Kindes, das sie um den Leib gebunden trug – es bedurfte nicht vieler Worte, um ihn davon abzuhalten, in seine Heimat zurückzukehren. Sie verzichtete auf Vorwürfe, dass er sie einfach zurückgelassen hatte, sondern erklärte schlicht: »Wir bleiben zusammen.« Und er widersprach nicht, umarmte sie und das Kind und brach weinend auf die Knie.
Nach einigen Nächten im Freien fanden sie Zuflucht und Arbeit auf einer einsam gelegenen Hacienda. Es war ein hartes Leben, das sie seitdem hier führten, aber es hatte ihnen ihr tägliches Brot und ein Dach über dem Kopf gesichert. Sie halfen sowohl beim Ackerbau als auch bei der Viehzucht, und dass Valeria aus Deutschland stammte, hatte sich als unverzichtbarer Trumpf erwiesen.
Der Patron hatte sie zunächst skeptisch gemustert, doch seine Miene hatte sich aufgehellt, als sie ihre Herkunft ins Spiel brachte. »Die einheimischen Peones sind nur zum Dienst zu Pferde zu gebrauchen«, hatte er nachdenklich gemurmelt, »sie verachten anstrengende Feldarbeit. Doch die Deutschen stehen im Ruf, gute Bauern zu sein. Die Italiener auch – aber die sind nicht so zuverlässig und treu.«
Valeria hatte eifrig genickt, erzählt, dass sie selbst von einem Landgut stammte, und verschwiegen, dass sie noch nie mit ihren eigenen Händen
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