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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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misstrauisch, aber laut sagte sie nur: »Komm wieder ins Haus! Das Essen wird gleich serviert.«
     
    Wie so oft waren die Damen des Hauses beim Mittagessen unter sich: Alejandro de la Vegas, der nach seinem Schlaganfall die letzten Jahre seines Lebens ans Bett gefesselt gewesen war, war gestorben, als Tabitha noch ein kleines Mädchen war, und Julio war meist unterwegs. Offiziell hieß es immer, er hätte geschäftlich zu tun, aber Tabitha hatte schon manches Mal gehört, wie Leonora ihn wütend zur Rede stellte und ihm vorwarf, dass kein Geschäft der Welt so viel Zeit beanspruchte. Manchmal stellte sich Tabitha vor, dass er irgendwo eine zweite Familie hatte, mit der er glücklicher war und die ein helleres, luftigeres Haus bewohnte, von dessen Wänden nicht das ständige Gekeife hallte, sondern Kinderlachen. Allerdings: Hätte er dann jenen zynischen Zug um den Mund, wenn es so wäre?
    Ihre Großmutter Rosa hasste ihren Bruder – Tabitha hingegen sah ihn zu selten, um Gefühle gleich welcher Art für ihn zu entwickeln. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen sie zusammentrafen, redete er meist über schrecklich langweilige Dinge – etwas, das er mit ihrem ebenso vielbeschäftigten Großvater gemein hatte, obwohl sich dieser, anders als Julio, ungleich mehr Zeit für sie nahm. Früher war sie immer an seiner Seite nach Montevideo gereist, und ein oder zwei Mal war auch ihre Großmutter dabei gewesen, doch jene war im Haus der de la Vegas’ jedes Mal traurig geworden und ihr Großvater mittlerweile so alt, dass ihn die langen Schifffahrten zu sehr anstrengten. Seitdem kam sie jeden Sommer allein für zwei oder drei Monate hierher – etwas, worauf ausgerechnet ihre Großmutter bestand, obwohl sie selbst die einstige Heimat nicht zu vermissen schien und sich hier nie wohl gefühlt hatte.
    Während sie aßen, erzählte Isabella allen möglichen Klatsch, der ihr zu Ohren gekommen war. Tabitha hörte nicht richtig zu, war aber erleichtert, dass Leonora mit ihrer schrillen Stimme ausnahmsweise schwieg. Um wie viel wohltuender war es, Isabella reden zu hören – eine unauffällige Frau, die in Gesellschaft von Männern den Mund kaum aufbekam. Sie machte den Eindruck einer alten Jungfrau, obwohl sie im letzten Jahr des schrecklichen Dreibund-Krieges geheiratet hatte. Ihr Mann war nur wenige Wochen später gefallen, und Isabella trug seitdem Schwarz und ging jedes Jahr an seinem Todestag in die Messe. Sonderlich viel erzählte sie von ihm aber nicht und wirkte auch nicht kummervoll, wann immer sein Name genannt wurde, so dass Tabitha zweifelte, ob sie jenen Mann von Herzen geliebt hatte. Wahrscheinlich hatte ihr Vater die Heirat arrangiert.
    Auch jetzt beim Mittagessen dachte sie darüber nach. Unmöglich, dass Isabella je gefühlt hatte, was sie fühlte, wenn sie an José dachte, an seine kräftigen Hände, die sie an der Taille umfasst hatten, seine rauchige Stimme, seinen Geruch! Isabellas Haut wäre nicht so fahl, ihr Kopf nicht so geduckt, ihre Blicke wären nicht so verstohlen, wenn sie jemals von der Liebe mitgerissen worden wäre wie von einer der hohen Wellen, die bei stürmischem Wetter die Schiffe im Hafen bedrohlich schaukeln ließen.
    Sie aber war sich nun sicher, was Liebe war. Auf dem Weg hierher schien sie den Boden kaum zu berühren, sondern darüber geschwebt zu sein. Jede Berührung schien sich in ihrem Körper eingebrannt zu haben, ähnlich wie Wunden, nur dass sie nicht schmerzten, eher diesen Kitzel hervorriefen, der sich anfühlte, als krabbelten in ihrem Bauch viele kleine Käfer. Ihre Kehle war so eng, dass sie nichts herunterbrachte, obwohl die Speisen, die aufgetischt wurden, wie immer erlesen waren. Nach einer kräftigen Suppe gab es würziges Lammfleisch mit frischem Gemüse, zum Dessert süßen Kuchen und frisches Obst. Am wenigsten wurde bei dem weichen, weißen Brot gespart, das sich nur die reichen Leute leisten konnten.
    »Du hast ja gar keinen Appetit«, stellte Leonora verständnislos fest. Wie gewöhnlich aß sie in rauhen Mengen und war mittlerweile eine unförmige Matrone, die den aufgedunsenen Körper kaum pflegte. Anstatt sich zu frisieren, trug sie einfach eine Haube über dem strähnigen, verfilzten Haar, und wenn sie sich im Spiegel musterte, stand kein Ausdruck von Wehmut mehr darin, wie Tabitha ihn als kleines Kind oft noch wahrzunehmen glaubte, sondern Trotz und so etwas wie Schadenfreude.
    Tabitha tat so, als würde sie an einem Glas Wein nippen. »Was bekommt denn

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