Die Rosen von Montevideo
gearbeitet hatte. Valentín dagegen hatte nichts gesagt, als der Blick des Patrons auf ihm ruhte. Augenscheinlich war, dass er kein Deutscher war, aber um in den Zeiten eines Krieges und kurz vor Beginn der Erntezeit keine willigen Arbeitskräfte zu verlieren, hatte der Patron nicht nachgefragt, woher er stammte.
Eine Nacht lang hatte Valeria wach gelegen und Angst gehabt, sein Akzent würde ihn als Paraguayer verraten. Am nächsten Abend war sie jedoch nach einem arbeitsreichen Tag viel zu erschöpft, um sich noch Sorgen zu machen, und war sofort eingeschlafen.
Bald waren ihre Hände von Blasen übersät, weil sie die Sichel, mit der man das Korn schnitt, so fest umklammerte. Bald schmerzte der Rücken, weil sie stundenlang verlorene Ähren einsammeln musste. Bald hatte sie einen unangenehmen Biss eines jener Pferde abbekommen, die man in ein Rundteil trieb, auf dass sie dort das Korn austraten. Doch die Schmerzen vergingen – das Vertrauen in die eigene Stärke wuchs. Während der Schufterei trug sie ihr Kind auf dem Rücken, und seine sanften Tritte und fröhlichen Schreie nährten die Hoffnung, dass ein fester Wille reichte, um sich ein neues Leben aufzubauen.
Auch als die Tochter zu groß und schwer war, um sie herumzuschleppen, und am Feldrand oder im Stall spielte, reichte oft ein kurzer Blick auf sie, um Valeria zum Lächeln zu bringen. Nur heute hätte selbst das hellste Jauchzen des Kindes keinen neuen Mut in ihr zu wecken vermocht, sondern das Herz noch schwerer werden lassen. Heute war der Haciendero zu ihnen getreten, hatte mit gesenktem Blick und verlegener Stimme erklärt, dass die Geschäfte schlecht liefen und er ihnen zukünftig keinen Lohn mehr bezahlen konnte. Sie müssten sich nach einer anderen Arbeit umschauen.
»Das verstehe ich nicht!«, hatte Valeria protestiert.
»Ihr habt es doch selbst oft genug erlebt, dass die Landwirtschaft kaum einträglich ist. Die vorhandenen Ackerflächen sind klein, weil sie hoch und sicher eingezäunt werden müssen. Und die Halme reifen ungleichmäßig und werden ständig durch wildes Geflügel wie Papageien bedroht.«
»Aber dann müssen wir eben stärker auf Viehwirtschaft setzen!«, hatte Valeria energisch entgegengehalten. »Für Butter wird hier ein Vermögen gezahlt. Und frische Milch und Sahne erzielen ebenfalls einen hohen Preis.«
»Die Kühe geben nur wenig Milch und das bloß so lange, wie sie das Kalb bei sich haben …«
Valeria unterdrückte ein Seufzen. Oft genug hatte sie zu erklären versucht, dass eine Kuh auch ohne Kalb Milch geben konnte – vorausgesetzt, man kannte die Methoden, den Milchfluss aufrechtzuerhalten. Aber von einer Frau nahm hier keiner gern einen Ratschlag an.
»Damit es sich lohnt, muss man sehr viele Kühe haben. Und ich habe kein Geld, welche zu kaufen. Sieh es doch ein, ich kann euch nicht länger gebrauchen!«
Aber Valeria wollte es nicht einsehen. »Wenn du auch keine Rinder züchten willst, dann wenigstens Pferde. Du hast doch schon genug, und …«
»Die Pferdezucht ist noch weniger ergiebig als die der Rinder. Du hast lange genug hier gelebt. Hier auf dem Land gibt es kaum Fuhrwerke, die von Pferden gezogen werden – die großen Lasten werden vielmehr auf Ochsenkarren transportiert. Und die Briten kaufen sich die edlen Rösser, auf die sie wetten, bei ihresgleichen.«
Valeria hätte gerne noch etwas gesagt, aber Valentín hatte sie zur Seite gezogen: »Du weißt so gut wie ich, dass er uns auch dann nicht in seinem Dienst behalten würde, wenn er beste Erträge erzielte. Wahrscheinlich hat sich herumgesprochen, dass ich Paraguayer bin. Ich fürchte, ich habe jüngstens einmal in der Sprache der Guaraní geflucht …«
Valerias erste Regung war es gewesen, ihn für diesen Leichtsinn zu beschimpfen, aber dann beherrschte sie sich. Es war nicht seine Schuld, dass seinesgleichen nach dem Krieg verhasst waren. Es war ihm schwer genug gefallen, all die Jahre sein Geheimnis zu hüten und sich für seine Herkunft zu schämen, anstatt darauf stolz zu sein.
»Wir müssen uns eben etwas anderes suchen«, hatte sie sich dem Schicksal ergeben.
Die rötliche Sonne sank, und der Wind wurde kühler, als Valentín zu ihr trat. Ihre Tochter saß auf seinen Schultern und sang aus Leibeskräften ein Lied. Valeria streichelte die kleinen Hände und rang sich ein Lächeln ab. Die Freude an der Musik hatte die Kleine von ihrem Vater, auch wenn sie äußerlich nach ihr kam. Sie hatten das Mädchen Carlota genannt, weil
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