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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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Obwohl sie nichts sagte und auch sonst kein Geräusch von sich gab, drehte er sich um. »Guten Tag, Niña Tabitha.«
    Keiner sprach den Namen aus wie er – so rauh und so tief. Und keiner behandelte sie so wie er wie eine Erwachsene. Für alle war sie ein Kind, obwohl sie schon fast zwanzig war. Es lag wohl daran, dass ihre Großeltern sie nicht hergeben wollten, wie die alte Espe zu ihren Lebzeiten behauptet hatte, und dass sie selbst diese Fürsorge durchaus genossen hatte. Seit sie José kannte, erschien ihr das wohlbehütete Leben jedoch plötzlich langweilig.
    »Willst du Diablo füttern?«
    Tabitha zögerte, dem Pferd zu nahe zu kommen, aber als José ihr eine Karotte entgegenhielt, griff sie zu, gab sie dem Hengst und spürte kurz die rauhe Zunge auf ihrer Hand. Die Berührung ging ihr durch und durch – oder vielleicht auch nur die Nähe zu José.
    In den letzten Tagen hatte sie viel über ihn herausgefunden, so auch, warum er nicht mehr durch die Pampa ritt, sondern im Haus der de la Vegas’ die Pferde versorgte. Seit dem Jahr 1870 waren auf dem Land die Alambrados, die Stacheldrahtzäune, in Gebrauch, womit die Möglichkeit geschaffen war, Weidetiere einzusperren, die Arbeit der Gauchos jedoch nicht länger benötigt wurde. Die meisten von ihnen weigerten sich, Feldarbeiter zu werden, wie die vielen Einwanderer aus Italien und Spanien, und auch José hatte sich entschieden, anderweitig sein Brot zu verdienen. Eine Weile hatte er bei der Eisenbahn gearbeitet, aber dort die geliebten Pferde vermisst und darum als Pferdeknecht im Hause der de la Vegas’ angefangen.
    »Wollen Sie es versuchen?«, fragte er, nachdem sie die Karotte verfüttert hatte.
    »Was?«
    »Nun – zu reiten.«
    Tabitha betrachtete angstvoll das Riesentier. Es war nicht einmal gesattelt. Aber sie wollte sich ihre Furcht nicht anmerken lassen und ihm schon gar nicht von ihrem einstigen missglückten Reitversuch berichten. Womöglich würde er sie dann nicht mehr wie eine Erwachsene behandeln, sondern sich wie alle anderen in Ängsten um ihre Gesundheit ergehen, weil sie doch ein so zartes Kind gewesen war. Obwohl sie zwar immer noch schlank, aber längst nicht mehr zerbrechlich war, traute man ihr bis heute keinerlei Anstrengung zu – abgesehen von José.
    Sie senkte den Blick und nickte rasch, und ehe sie es bereuen konnte, hatte José das Pferd gesattelt, sie hochgehoben und draufgesetzt. Sie befürchtete, gleich wieder herunterzufallen, doch er hielt ihre Hand fest – eine große, warme Hand, rauh wie seine Stimme. Er war nicht unbedingt schön mit seiner gegerbten Haut, den tiefliegenden, schwarzen Augen, dem strohigen, dunklen Haar, das weder so sorgfältig gekämmt noch geschnitten war wie das graue ihres Onkels Julio, aber ungemein männlich. Tabitha durchliefen ähnliche Empfindungen wie vorhin, als die Zunge des Pferds ihre Hand berührt hatte.
    »Wenn Sie sich erst einmal an die Höhe gewöhnt haben, Niña Tabitha, dann können Sie auch ausreiten. Sie werden sehen, das ist wunderschön.«
    Offenbar erahnte er ihre Furcht vor den Tieren und wollte sie ihr behutsam nehmen.
    Sie lächelte ihn an. Solange er ihre Hand hielt, war sie bereit, jedes noch so wilde Pferd zu besteigen.
    »Tabitha, Tabitha – wo bleibst du denn?«
    Sie verdrehte die Augen. Isabella …
    Eigentlich mochte sie sie ganz gern, denn sie war nicht bösartig wie Tante Leonora, sondern warmherzig und freundlich, aber sie stand völlig unter der Fuchtel ihrer Mutter, wagte es nie, ihr zu widersprechen, und würde sie womöglich verpetzen, wenn sie sie im vertraulichen Gespräch mit José ertappte.
    Schnell hob José sie wieder vom Pferd, und als er sie auf den Boden aufsetzte, wankte er kurz. Unfreiwillig fiel sie gegen ihn, doch sie zuckte nicht vor ihm zurück, sondern schmiegte sich an seinen gestählten Körper – und auch seine kräftigen Hände verharrten länger um ihre Taille als notwendig. Er roch so gut wie die Pferde … roch nach Wildheit und Sonne und Abenteuer.
    Als Isabella den Stall erreichte, war José zwar längst zurückgewichen, aber Tabitha immer noch hochrot im Gesicht.
    »Was machst du denn im Stall?«
    »Natürlich die Pferde betrachten. Ist Diablo nicht ein stattliches Tier?«
    Isabella mochte Pferde ebenso wenig wie sie und blickte misstrauisch von ihr zu José und wieder zurück. Doch José tat so, als wäre er mit dem Sattelgurt beschäftigt, und Tabitha trat rasch an ihm vorbei zu Isabella.
    Deren Blick blieb zwar

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