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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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der abscheuliche Geruch faulender Eingeweide, der Aasgeier und andere Vögel anlockte, und die Tiere, die geschlachtet wurden, brüllten entsetzlich, wenn sie den Gestank wahrnahmen. Bis ins Letzte wurde alles, was sie herzugeben hatten, in etwas Nützliches umgewandelt: Aus der Haut wurde Leder gemacht, aus dem Fett Seife, aus den Knochen Dünger. Das Fleisch wurde nicht nur getrocknet, sondern noch frisch auf große Kühlschiffe oder in Fabriken gebracht, die Corned Beef herstellten. Hauptsächlich wurden Rinder verarbeitet, aber manchmal waren auch Pferde darunter, und ihrem Vater, der diese Tiere so sehr liebte, brach es das Herz, sie töten zu müssen. Carlota liebte wiederum ihren Vater und empfand tiefes Mitleid mit ihm, aber insgeheim verstand sie auch, warum ihre Mutter oft so ungehalten reagierte. Schließlich war ihr Leben mühsam genug, auch ohne sich abends seine endlosen Klagen anzuhören, die wie eben im Streit mündeten.
    »Du klingst so vorwurfsvoll, als wäre ich an allem schuld«, keifte die Mutter.
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    »Aber du denkst es, nicht wahr? Du denkst, alles wäre leichter, wenn du nicht Frau und Kind ernähren und obendrein in der Fremde leben müsstest. Du denkst, du hättest bei deinem verfluchten Bruder Pablo bleiben sollen.«
    »Hör endlich auf, mir etwas in den Mund zu legen, was ich so nie sagen würde!«
    »Du bist doch derjenige, der ständig darauf pocht, dass man die Mühsale des Lebens leichter erträgt, wenn man offen darüber redet. Warum sonst führst du ständig Klagen? Früher hast du wenigstens noch gesungen, wenn etwas auf deiner Seele lastete.«
    »Es tut mir leid, dass mich die Jahre verändert haben.«
    »Kleinlicher Trotz ist aber ein ausnehmend schlechter Tausch gegen Stolz.«
    Carlota hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten, doch das konnte sie nicht. Sie musste sich ja den Näharbeiten widmen, und weil sie unaufmerksam gewesen war, stach sie sich zum wiederholten Male in den Finger. Blut tropfte auf den Stoff.
    »Verflucht!«, schrie sie.
    Sie rieb verzweifelt den Stoff, aber der Fleck wurde dadurch nur noch größer.
    Wann genau hatte das Elend angefangen?, fragte sie sich. Seit wann lagen die Eltern ständig im Streit miteinander?
    Vage erinnerte sie sich daran, dass es auch glücklichere Zeiten gegeben hatte. Die ersten Jahre nach ihrer Geburt hatten sie auf dem Land verbracht, und wenn vieles davon auch im Dunkeln lag – Carlota wusste noch ganz genau, dass der Vater sie damals oft auf den Schultern hatte sitzen lassen, dass sie selbst laut gejauchzt und die Mutter gelacht hatte. Sie hatte sich geborgen gefühlt, und das Leben war als so leicht erschienen. Doch dann waren sie in die Stadt gezogen. Ihr Vater hatte nur selten Arbeit gefunden, und wenn, dann immer nur für eine kurze Zeit, und Carlota hatte die Weite des flachen Landes vermisst. Immerhin war ihre Mutter noch zufrieden gewesen: Sie hatte an der deutschen Schule in der Nähe der Calle Sarandí eine Anstellung gefunden – was dem Umstand zu verdanken war, dass sie fließend Deutsch und ein wenig Französisch sprach, Klavier spielen, singen und sticken konnte. Sie hatten nicht weit von der Schule gelebt, und auch wenn das Haus einfach gewesen war, lag es doch in einer angesehenen Wohngegend.
    Vor zehn Jahren hatte langsam, aber sicher ihr Abstieg begonnen: Viele staatliche Schulen waren neu gegründet worden, und die wenigen deutschen Auswanderer hielten nicht länger an Sitten und an der Sprache ihres Herkunftslandes fest, sondern schickten ihre Kinder lieber dorthin. Die Schülerzahlen an der Deutschen Schule waren daraufhin rapide gesunken – und für Valeria war bald nichts mehr zu tun gewesen. Eine Zeitlang hatte sie noch am Deutschen Gymnasium in der Calle del Cerron gearbeitet, doch schließlich hatte man dort nur noch männliche Lehrer eingestellt.
    Carlota rieb nach wie vor an dem Fleck, der sich mittlerweile bräunlich verfärbt hatte. Im Moment stritten die Eltern nicht, sondern schwiegen sich nur eisig an. Das war noch schwerer zu ertragen – für Carlota, aber auch für die Streithähne selbst. Valeria war die Erste, die die Stille nicht mehr ertrug und erklärte: »Wenn es für dich tatsächlich so unerträglich ist, im Saladero zu arbeiten, müssen wir eben eine Weile von den Näharbeiten leben und uns einschränken.«
    »Über kurz oder lang würdest du mir ja doch nur Vorwürfe machen.«
    »Das stimmt doch gar nicht«, widersprach sie. »Wann habe ich es

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