Die Rosen von Montevideo
denn je getan?«
»Nicht mit Worten, aber mit Blicken oft genug.«
»Was soll ich denn sonst tun? Darf ich nicht manchmal zeigen, dass ich müde bin und Rückenschmerzen habe? Willst du, dass ich dir ein Theater vorspiele?«
»Nein, aber erklär mir nicht, du würdest damit leben können, wenn ich kein Geld verdiene.«
Das Gespräch drehte sich im Kreis und rührte wie so oft an etwas, das Carlota nicht recht begriff. Es hatte offenbar mit der Vergangenheit zu tun, in der ihre Mutter ein besseres Leben geführt hatte. Sie hatte darauf verzichtet, als sie sich aus Liebe für Valentín entschieden hatte, doch mit den Jahren war die Liebe geschwunden und die Verbitterung gewachsen.
Carlota befeuchtete den Fleck mit Speichel, doch auch wenn er etwas blasser wurde – er verschwand nicht. Was sollte sie nur tun? Sie arbeiteten für ein Geschäft, das Unterwäsche, Mieder und Unterkleider herstellte, und hatten den Vorteil, dass sie ihre Tätigkeit zu Hause verrichten konnten. Doch sie wurden stückweise bezahlt – und mit diesem Fleck würde das Unterhemd nie und nimmer akzeptiert werden. Sie musste ihn auswaschen!
Carlota blickte sich um – hatten sie hier oben irgendwo Kernseife? Unten in der Küche auf jeden Fall, aber sie wollte ihren Eltern aus dem Weg gehen. Also begann sie, die Schubladen zu durchstöbern, und wurde dabei immer mutloser … und missmutiger. Sie selbst besaß so gut wie gar keine Kleider, kein einziges Mieder, nur einen Haarkamm, dessen Zinken fast alle abgebrochen waren, und keinerlei Schmuck.
Wie schön das Leben sein könnte, wenn sie ein wenig mehr Geld hätten! Wie schön, die Eltern dann nicht mehr streiten zu hören! Sie müsste nie wieder nähen, sich nicht mehr den Finger blutig stechen, nie mehr vergebens nach Kernseife suchen!
Carlota trat zu einer Kommode im Schlafzimmer der Eltern gleich neben ihrer Kammer. Der Vater hatte sie gezimmert, weswegen sie entsetzlich schief war. Überdies klemmte die unterste Schublade und quietschte beim Öffnen. Carlota glaubte nicht recht daran, ausgerechnet dort Kernseife zu finden, aber als sie die Schublade nur zur Hälfte öffnen konnte und danach auf Widerstand stieß, packte sie Wut. Kurz vermeinte sie, dass sie ihr Leben nur in den Griff kriegen könnte, wenn es ihr gelänge, diese Schublade aufzuziehen und solcherart zu beweisen, dass die Arbeit ihres Vaters doch zu etwas taugte, ganz gleich, was ihre Mutter sagte. Sie umklammerte den Griff und zog ihn mit ganzer Kraft zurück. Wieder ein Quietschen, dann gab der Widerstand nach, so plötzlich, dass Carlota zurückfiel. Hastig rappelte sie sich wieder auf. Wie vermutet: In der Schublade befand sich keine Kernseife, sondern nur eine fleckige Schürze – und darunter ein Bündel Briefe.
Carlota betrachtete die Briefe und stellte erstaunt fest, dass sie allesamt geöffnet, danach aber wieder zusammengefaltet und in den Umschlag gesteckt worden waren. Noch zögerte sie, doch schließlich besiegte die Neugierde ihre Skrupel. Sie zog einen hervor und las zunächst die erste und letzte Zeile:
Liebe Valeria!,
stand da geschrieben … und darunter:
Deine Claire.
Der Name kam Carlota vage bekannt vor. Irgendwann einmal war er während eines Streits ihrer Eltern gefallen. Offenbar war sie eine Freundin oder Verwandte ihrer Mutter.
Carlota ließ den Brief kurz sinken, um ihn dann ins Licht zu halten und zu entziffern. Das Papier war ziemlich gelblich und von Flecken übersät, einzelne Worte waren verblasst. Diese Briefe mussten viele Jahre alt sein – und waren darum nur bruchstückhaft zu lesen.
… von Maria, der Köchin, erfahren, dass Du wieder in Montevideo lebst … kann mir nicht vorstellen, dass Du ein gutes Leben führst … Deine Eltern sind nach Deutschland zurückgekehrt …
Carlota runzelte die Stirn. Sie hatte oft vermutet, dass Valeria aus Deutschland stammte, sonst würde sie diese Sprache nicht perfekt beherrschen und hätte sie unterrichten können. Aber wenn sie sie danach fragte, verdüsterte sich stets ihr Gesicht, und sie verweigerte jede Auskunft.
Carlota nahm den nächsten Brief, der etwas besser zu lesen war:
Warum antwortest Du nicht auf meine Briefe? Geht Dein Trotz so weit, dass Du nicht nur mit Deinen Eltern, mit Julio und Leonora gebrochen hast, sondern auch mit mir nichts mehr zu tun haben willst? Denkst Du, Du kannst gutmachen, was geschehen ist, wenn Du mich vergisst? Ich habe Deinetwegen viel geopfert, und Dein Schweigen macht
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