Die Rosen von Montevideo
unterdrücken. Instinktiv wappnete sie sich dagegen, dass die Maske der Höflichkeit bald fallen würde, auch wenn sie sich noch nicht sicher war, was sich darunter verbarg. »Ich will noch nicht heiraten!«, erklärte sie entschlossen.
Julio lachte auf. »Du erinnerst mich an deine Großmutter. Sie hat sich einst auch gegen die Ehe gewehrt, die dein Urgroßvater für sie vorsah. Nun, dein Großvater hat sie damals davor bewahrt, und man muss sagen: Sie hat trotz allem eine gute Wahl getroffen.«
Tabitha reckte stolz ihr Kinn. »Ebendarum würde mich Großmutter nie zwingen, jemanden zu heiraten, den ich nicht will, mag er auch eine noch so gute Partie sein. Und dieser Alonso ist kein Mann für mich.«
Julio runzelte die Stirn. »Du hast doch eben noch eingewilligt, Zeit mit ihm zu verbringen.«
»Weil ich nicht unhöflich sein wollte!«, rief Tabitha heiser. »Aber ich lasse mich zu nichts zwingen – das würden meine Großeltern auch nicht zulassen.«
Julios Stirn glättete sich wieder, und er lächelte plötzlich so breit wie Leonora. »Das stimmt, sie würden dir nie vorschreiben, wen du zu heiraten hast. Aber deine Großeltern würden genauso wenig wie ich gestatten, dass du Zeit mit diesem … diesem …«
Er brach ab. Tabitha fühlte, wie ihr heiß das Blut ins Gesicht stieg. Sie hörte Leonora spöttisch auflachen.
»… dass du Zeit mit diesem Stallknecht verbringst«, brachte Julio endlich den Satz zu Ende. »Das muss aufhören.«
Sein Lächeln schwand.
Tabitha fuhr herum. Auf der Türschwelle stand nicht länger nur die grinsende Leonora, sondern – von einem Diener hierhergebracht, mit mahlendem Kiefer und gesenktem Kopf – José.
»José …«
Er sah sie nicht an, und von allem war das am schwersten zu ertragen. Dass sein Stolz so sichtlich gekränkt war, erweckte Schuldgefühle in Tabitha – und glühenden Zorn. Julio und Leonora betrachteten ihn wie ein Insekt, das man am besten zertrat. Wie konnten sie nur!
»Reinkommen!«, bellte Julio.
»Du hast kein Recht …«, setzte Tabitha an.
Er beachtete sie gar nicht. Sie hatte erwartet, dass er sie maßregeln würde, ihr den Kontakt mit José strengstens verbieten, die Küsse erwähnen, die sie ausgetauscht hatten. Doch er wollte die Tatsache, dass seine Großnichte offenbar einen Stallburschen liebte, gar nicht erst zur Sprache bringen, sondern das leidige Thema anders aus der Welt schaffen.
Er zog ein Bündel Banknoten hervor, legte sie auf den Schreibtisch und blickte José streng an.
»Das ist Ihr restlicher Lohn. Sehen Sie es als Akt der Barmherzigkeit, dass ich ihn überhaupt ausbezahle. Sie sind entlassen, und Sie werden in ganz Montevideo keine Stelle mehr bekommen, dafür werde ich sorgen. Wenn Sie sich noch einmal in die Nähe der Pferde oder des Hauses wagen, lasse ich Sie hinauswerfen. Und bei einem zweiten Versuch zuvor auspeitschen.«
Er meinte wohl auch: in die Nähe von Tabitha, aber das ließ er unausgesprochen.
Tabitha empfand es als Gipfel der Demütigung, dass er den wahren Grund für die Kündigung unerwähnt ließ und sich weiterhin so verhielt, als wäre sie gar nicht im Raum.
Auch José wich ihrem Blick aus, obwohl sie ihn verzweifelt suchte.
Am liebsten hätte sie ihn beschworen, das Geld nicht zu nehmen und seinen Stolz nicht noch weiter verletzen zu lassen. Doch sie wusste, dass ihre Worte alles nur noch schlimmer gemacht hätten. So musste sie hilflos zusehen, wie er nach einer Weile wortlos nach den Banknoten griff und sie in seiner Hosentasche verstaute. Als er schweigend den Raum verließ, wich Leonora mit einem angeekelten Gesichtsausdruck zurück, als wäre die Luft rund um ihn verpestet.
Bösartige, alte Vettel!, ging es Tabitha durch den Kopf.
Nachdem Josés Schritte verklungen waren, wandte sie sich an Julio. »Wie konntest du nur?«
Er lehnte sich zurück. »Du kannst jetzt gehen«, verkündete er knapp.
»Ich lasse mir von dir nicht verbieten …«
»Ich verbiete dir gar nichts. Aber ich entscheide, wen ich in meinem Haus einstelle und wen ich entlasse.«
Tabitha sah ein, dass sie völlig machtlos war. Wenn er sie schlecht behandelt oder gar eingesperrt hätte, hätten ihre Großeltern aufs schärfste protestiert. Aber Rosa und Albert Gothmann würden sich wohl kaum für einen Stallknecht starkmachen, schon gar nicht, wenn sie um die Verliebtheit ihrer Enkeltochter wüssten.
Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie wollte nicht, dass Leonora und Julio sie weinen sahen, und
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