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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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alles noch schlimmer.
     
    Julio und Leonora.
    Carlota kannte auch diese Namen – nicht von einem Streit, sondern aus der Zeitung. Dort waren regelmäßig Artikel über die de la Vegas’ zu lesen – eine der einflussreichsten und wohlhabendsten Familien der Stadt. Hatte ihre Mutter irgendetwas mit ihnen zu tun?
    Sie nahm den nächsten Brief.
     
    Ich schreibe Dir zum letzten Mal. Wenn Du Hilfe brauchst, wende Dich an mich – auch mein Vater würde Dir sicher gern helfen. Aber ich bin es leid, darum zu kämpfen, dass Du Deine Sturheit endlich überwindest. Du strafst mit dem Schweigen nicht Leonora und Julio, sondern am meisten Dich selbst. Ich kann mir überdies nicht vorstellen, dass Du Deiner kleinen Tochter das Leben bietest, das sie verdient.
     
    Carlotas Herz pochte schneller. Vieles verstand sie nicht – jedoch, dass es offenbar in all den Jahren einen Ausweg aus dem Elend gegeben hätte. Und dass Valeria diesen offensichtlich nicht genutzt hatte – dieser Brief war nämlich der letzte.
    Sie erhob sich und stürmte nach unten. Ihre Mutter saß am Küchentisch und rieb sich die Schläfen. Von ihrem Vater war nichts zu sehen. Wahrscheinlich war er aus dem Haus geflohen und wie so oft am Abend zum Meer gegangen, dessen Anblick ihn beruhigte. Manchmal begleitete Carlota ihn, und auch für sie verhießen die schaumgekrönten Fluten ein Gefühl von Freiheit und Gelassenheit. Doch heute suchte sie keinen Seelenfrieden.
    Sie hielt der Mutter anklagend die Briefe vors Gesicht. »Wie konntest du nur, Mutter, wie konntest du!«
     
    Eine Weile starrte Valeria sie nur wortlos an, dann wanderte ihr Blick zu den Briefen, und sie wurde merklich blass. »Woher hast du das?«
    »Das tut nichts zur Sache!«, rief Carlota erbost. »Wer ist diese Claire? Warum hast du ihr nie geantwortet? Sie hat dir doch offenbar Geld angeboten!«
    Valeria sprang auf und wollte ihr die Briefe wegnehmen, doch Carlota trat rechtzeitig zurück.
    »Weiß Vater davon?«
    Valeria ließ ihre Hand sinken, aber um ihren Mund erschien ein trotziger Zug. »Auch dein Vater wäre zu stolz gewesen, vor den de la Vegas’ auf dem Boden zu kriechen.«
    Es stimmte also: Irgendwie war sie mit den de la Vegas’ verwandt. »Vorhin hast du Vater noch vorgeworfen, er hätte seinen Stolz durch Trotz ersetzt.«
    »Du solltest nicht lauschen.«
    »Liebend gerne würde ich euch nicht beim Streiten zuhören. Aber ihr seid nun mal so laut, und das Haus so klein …« Carlotas Stimme kippte. Sie konnte wortkarg sein wie ihre Mutter, aber wenn der Zorn sie erst einmal übermannte, war ein Ausbruch wie dieser unvermeidlich. »Ja, wir leben in einem schrecklich kleinen, schrecklich armen Haus, was offenbar nicht notwendig ist. Wer bist du, Mutter? Warum verzichtest du auf den Reichtum, der dir offenbar zusteht?«
    Wieder versuchte Valeria, ihr die Briefe abzunehmen – und diesmal gelang es ihr. Doch dass Carlota nun ihren Inhalt kannte, ließ sich nicht mehr rückgängig machen.
    »Claire Gothmann ist meine Cousine«, gestand Valeria widerwillig. »Und mit den de la Vegas’ bin ich mütterlicherseits verwandt. Doch sie haben fast deinen Vater auf dem Gewissen. Sie hätten mir nie gestattet, dass ich ihn heirate, da er Paraguayer und folglich ein Feind war. Als ich schwanger wurde, wollten sie dich mir gleich nach der Geburt wegnehmen. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als zu fliehen. Seitdem halten sie mich für tot, und das ist gut so.«
    Carlotas Zorn schwand, denn mit dieser Geschichte hatte sie nicht gerechnet.
    »Aber diese Claire weiß, dass du lebst, und sie klingt doch freundlich …«, hielt sie etwas kleinlauter entgegen.
    »Claire hat mir sehr geholfen, dabei jedoch ihre große Liebe verloren. Damals habe ich nicht darüber nachgedacht, aber später ist mir aufgegangen, wie groß ihr Opfer war. Ich dachte, es wäre leichter für sie, wenn alle Brücken abgerissen blieben, sie mich nicht wiedersehen und somit nicht an ihren Verlust erinnert werden würde. Ich dachte auch, das wäre leichter für mich …«
    Offenbar war das ein Irrtum gewesen, denn Carlota sah Tränen in Valerias Augen schimmern.
    Doch auch wenn sie nun die Beweggründe verstand, warum sie diese Briefe unbeantwortet gelassen hatte – die Folgen dieser Entscheidung konnte sie nicht einfach hinnehmen.
    »Wir könnten ein besseres Leben führen!«, klagte sie.
    »Wir haben ein Dach über dem Kopf, genug zu essen und alle Arbeit«, sagte Valeria streng. »Es gab Zeiten, da hatten

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