Die Rosen von Montevideo
gewöhnlich bekundete sie ihre Meinung nicht. Vielleicht lag es daran, dass sie Rosas Verzweiflung witterte.
»Espe … Espe, begleitest du mich?«, rief Rosa. »Ich könnte es nicht ertragen, so ganz allein in der Fremde zu sein … Ich weiß doch nicht, was mich erwartet. Gewiss, Albert ist so gut und freundlich, aber ich kenne seine Familie nicht. Scheinbar ist sein Vater sehr streng und seine Mutter oft krank. Und dann gibt es da noch seinen jüngeren Bruder und dessen Frau. Vielleicht mögen sie mich nicht.«
Espe entkräftete ihre Ängste nicht, sagte jedoch entschieden: »Natürlich werde ich mit dir kommen. Ich kann Valerias Tochter doch nicht alleinlassen.«
Rosa hätte am liebsten die dunkle, runde Frau umarmt, wagte es aber nicht. Als Kind hatte Espe sie hingebungsvoll betreut, jedoch selten liebkost; ihre Wärme ging von ihrem Blick aus, nicht von ihren Händen. So oder so fühlte sich Rosa getröstet. Wenn sie an die morgige Hochzeit dachte – ein großes Fest, zu dem viele Familien geladen worden waren und üppige Speisen aufgetragen werden würden –, war ihr nicht länger zum Weinen zumute, sondern eine fiebrige Aufregung erfasste sie.
Albert erlebte den Tag seiner Hochzeit wie im Traum. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass er nur ein stummer Beobachter war, der mit dem Fest eigentlich nichts zu tun hatte. Vielleicht lag es daran, dass es weder Freunde noch Familienangehörige, sondern vor allem Fremde waren, deren Hände er schüttelte. Vielleicht auch daran, weil er sich so fern von seinem Zuhause aufhielt, wo nichts von seiner eigenen Geschichte und der seiner Familie zeugte.
Alejandro de la Vegas hatte keine Kosten und Mühen gescheut, um seinen Reichtum zur Schau zu stellen, als er seine einzige Tochter unter die Haube brachte – angestiftet wahrscheinlich nicht nur von seiner eigenen Eitelkeit und seinem Geltungsbedürfnis, sondern von Julio. Albert vermeinte zwischenzeitig, dass Letzterem mehr an der Hochzeit lag als ihm selbst und Rosa, zumal diese viel zerbrechlicher und schüchterner als das lebenslustige Mädchen wirkte, das er vor den Argentiniern gerettet hatte.
Ihr Anblick rührte ihn, und als er beim Heiratsschwur ihre Hand ergriff, schämte er sich wegen des Gefühls, nicht dazuzugehören. Es stimmte ja nicht, dass er sich unter Fremden aufhielt – sie war jetzt seine Frau; niemand würde ihm künftig so nahestehen wie sie. Und hatte er nicht genau das gewollt, als er nach Uruguay aufgebrochen war? Dass er etwas erlebte, was nichts mit Bankgeschäften zu tun hatte, dass sein Leben bunter wurde, dass er, verglichen mit seinem zwar geschäftstüchtigen, aber erstarrten Vater, neue Wege beschritt?
Ein wenig gruselte es ihn schon, wenn er an seinen Vater dachte und daran, dass er ihm schon in wenigen Wochen die überstürzte Heirat erklären musste …
Aufgrund des blockierten Hafens konnten sie nicht länger mit der Abreise warten, sondern mussten die erste Gelegenheit nutzen und bestiegen das Schiff, noch ehe alle Hochzeitsgäste die Feier verlassen hatten. Espe hatte eine eigene Kajüte, in der anderen war er nun mit Rosa allein.
Ihr Anblick ließ ihn fast noch mehr erschaudern als der Gedanke an den fernen Vater. Was … was sollte er nun tun?
Nicht dass er nicht über die Dinge Bescheid wusste, die zwischen Mann und Frau vor sich gingen – schließlich hatte ihn sein Vater mit sechzehn Jahren zum ersten Mal ins Bordell mitgenommen. Zuvor hatte sich Albert Mut angetrunken, was dazu geführt hatte, dass ihm schrecklich übel war und er sich, als sich eines der leichten Mädchen vor ihm entkleidet hatte, erbrochen hatte. Das Mädchen hatte gelacht und er sich entsetzlich geschämt, aber ausgerechnet das hatte den Bann brechen lassen – wohl, weil das Mädchen in Wahrheit erleichtert war, die Nacht mit einem unwissenden Burschen anstatt mit einem rohen Mann zu verbringen. Behutsam hatte sie ihn in die Künste der Liebe eingeführt, und das Vergnügen daran hatte die Scham schließlich besiegt. Dennoch war er am nächsten Morgen vor allem dankbar, es hinter sich zu haben. Er war nun mal kein Mann mit übermäßigem Verlangen – und wenn es ihn doch überkam, nun, dann hatte er ihm in diskreten Etablissements mit erfahrenen Frauen nachgegeben. Wie aber sollte er sich Rosa nähern, ohne dass sie vor Angst, Scham und Ekel verging? Zumindest hatte er einmal gehört, dass sich wohlerzogene Mädchen so verhielten.
Während er noch wartete, übernahm
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