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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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halbe Muskatnuss reibt gegen Durchfall.«
    Frau Lore sprach ernsthaft und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass jemand, der eben noch über Verstopfung geklagt hatte, gleichzeitig an Durchfall leiden könnte.
    Adele fühlte sich langsam besser. Sie fühlte sich immer besser, wenn andere sich um sie kümmerten. Eigentlich hatte sie auch die letzten Tage genossen, da sich sämtliche Familienangehörige und Freunde um sie gesorgt und so viel Mitleid mit ihr gehabt hatten. Nur war ihr plötzlich alles über den Kopf gewachsen. Unerträglich waren die Erinnerungen an Gerda, an ihre Jugend, ehe sie Albert geheiratet hatte, und an die ersten Tage an seiner Seite, da sie täglich den Tod erwartete. Der Tod war ferngeblieben, sie war so alt geworden, und dennoch wirkte ihr Leben im Rückblick so kurz. Was nutzte es, lange zu leben, wenn man zu wenige schöne Erinnerungen hatte, um sich daran zu erfreuen?
    Es klopfte an der Tür, und Frau Lore öffnete. Carl-Theodor, ihr jüngerer Sohn, stand vor dem Zimmer.
    »Jetzt nicht!«, rief Adele und zog die Decke über das Gesicht.
    Sie mochte Carl-Theodor mehr als ihren Erstgeborenen Albert junior. Er war genauso höflich, aber weniger steif, hilfsbereit, aber nicht so nüchtern, ausgeglichen, aber fröhlicher. In diesen Tagen trauerte er ehrlich um seinen Vater, doch genau das wollte sie nicht sehen und sich eingestehen müssen, wie sehr diese Trauer sie befremdete. Noch unerträglicher als Carl-Theodors Gesellschaft war ihr die von Antonie, ihrer spröden Schwiegertochter, die keinen Sinn für ihre körperlichen Leiden hatte, sondern heimlich darüber spottete. Zumindest war Adele überzeugt, dass es so war. Antonie spottete über alles und jeden. Als Carl-Theodor sie geheiratet hatte, hatte sie sich eigentlich gefreut, weil Antonie Französin war und Adele selbst aus dem Badischen stammte, wo die Menschen, wie es hieß, mehr Franzosen als Deutsche waren. Die Männer tranken gern und lachten viel, die Frauen waren hübsch, lebendig und sprachen in jenem bezaubernden Singsang. Genau all das traf auf Adele nicht zu – und auf Antonie auch nicht. Sie war eine nüchterne Frau. Nahezu eine kalte, wie Adele befand. Sie zog die Decke noch höher, obwohl Carl-Theodor ohne seine Gemahlin das Zimmer betreten hatte und keine Anstalten machte, wieder zu gehen.
    »Mutter«, sagte er leise, »Albert ist wieder da.«
    Kurz dachte sie, dass er sich über sie lustig machte, aber dann begriff sie, dass er nicht Albert senior, ihren Mann, meinte, sondern ihren Ältesten.
    Ruckartig schlug sie die Decke zurück und richtete sich auf. Also war Albert wieder in ihre vornehme Stadtvilla in der Neuen Mainzer Straße, Frankfurts bester Wohngegend, zurückgekehrt – keinen Augenblick zu früh, denn morgen schon würde sie sich in ihr Landhaus im Taunus zurückziehen.
    »Er hat die Reise also überstanden«, murmelte sie und war erstaunt. So wie sie selbst stets mit dem Tod rechnete, hatte sie auch immer das Schlimmste für ihre beiden Söhne erwartet. Nur dass der Gatte vor ihr sterben würde, hatte sie nicht kommen sehen.
    »Ich habe ihm noch nichts gesagt«, murmelte Carl-Theodor, »ich dachte, du wolltest selbst …«
    Er brach ab. Adele hätte sich am liebsten wieder unter der Decke versteckt und mit Frau Lore weitere Rezepturen durchgesprochen, aber sie ahnte, dass sie Carl-Theodor so leicht nicht loswerden würde. Obwohl sie ihn mochte, erschien er ihr wie ein Eindringling. Auch ihren Gatten hatte sie nur ungern in ihrem Schlafzimmer geduldet. Gottlob hatte der nach der Geburt zweier Söhne auf seine nächtlichen Besuche verzichtet.
    Unwillig nickte sie Frau Lore zu, die ihr den Morgenmantel reichte. Erst als sie die Treppe herunterschritt, fiel ihr auf, dass er rot war, nicht schwarz. Wie unpassend!
    Albert ging im Eingangsbereich auf und ab. Er wirkte verwirrt und hatte offenbar schon bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Adele suchte nach geeigneten Worten, fand jedoch keine, um ihm die Nachricht möglichst schonend beizubringen.
    Sie war noch nicht am unteren Ende der Treppe angekommen, als sie mit der Neuigkeit herausplatzte – wie ein Kind, das kein Geheimnis wahren kann: »Dein Vater ist tot. Er ist vom Pferd gefallen. Doktor Haubusch meinte, es war kein Unfall, sondern ein Schlaganfall.« Sie gab Albert nicht die Zeit, sich zu fassen, sondern fügte hinzu: »Ich bin so froh, dass du wieder hier bist. Du bist nun der Erbe der Bank.«
    Alberts Gesicht war von einer gesunden Bräune –

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