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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla Federico
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begeistert auf die Schultern. »Das ist doch großartig!«
    Nicolas zuckte zusammen. »Was ist großartig daran, dass mir eine junge, liebenswerte Frau vertraut und ich sie hintergehe?«
    Er klang trotzig, und Laurents Verachtung wuchs. Sein Sohn war nicht nur weicher – auch leichtgläubiger. So wie er nur schöne Musik mochte und vor Lärm zurückschreckte, wollte er die dunklen Gefühle nicht wahrnehmen, die in seinem Vater tobten: Hass und Rachsucht. Er glaubte immer noch, dass es ihm nur um Gerechtigkeit ging.
    Laurent unterdrückte ein Seufzen. Nicolas war immer leicht formbar und darum gehorsam gewesen, doch genau diese Eigenschaft machte ihn wohl auch so empfänglich für die Reize eines hübschen Mädchens. Kürzlich war er noch höchst zufrieden gewesen, als er gehört hatte, dass sich die beiden sogar geküsst hatten – jetzt fragte er sich, ob Nicolas damit nicht zu weit, weil diesem Mädchen ins Netz gegangen war.
    »Du hast doch nicht ernsthaft Gefühle für sie entwickelt?«
    Nicolas wich seinem Blick aus. »In jedem Fall hat sie es nicht verdient, dass ich sie hintergehe.«
    Er schüttelte seinen Sohn an den Schultern. »Ich will endlich wissen, was damals genau passiert ist.«
    »Warum fragst du Albert Gothmann dann nicht? Er scheint mir ein freundlicher Mann zu sein, wirklich, ich kann nur Gutes von ihm sagen.«
    »Er ist der Mörder deines Großvaters!«
    Nicolas presste trotzig seine Lippen zusammen, doch dass keine Widerrede kam, verärgerte Laurent noch mehr.
    »Hör mir zu! Alles, was du bist, bist du durch mich. Du hast stets die besten Lehrer bekommen, die teuersten Violinen. Ich habe keine Kosten und Mühen gescheut, um dich zu fördern. Du musstest dir nichts erkämpfen, dir ist alles in den Schoß gefallen. Du bist es mir schuldig, dass du …«
    Nicolas hob abwehrend die Hände. »Ist gut, ist gut, ich weiß ja, was ich dir verdanke.«
    Laurent atmete tief durch. »Du stehst also auf meiner Seite?«
    »Natürlich tue ich das.«
    Laurent war sich nicht ganz sicher. Nicolas wirkte nicht nur trotzig, sondern auch so verletzlich – ein Zeichen, dass er sich ernsthaft verliebt hatte.
    Sie verabschiedeten sich, und er stapfte in die andere Richtung davon. Schnee rieselte von den Bäumen und nässte Laurents Gesicht. Er durfte nicht zulassen, dass sein Sohn noch mehr Gefühle für Tabitha Gothmann entwickelte. Er musste seinen Plan beschleunigen. Und er hatte schon eine Idee, wie er das anstellen würde.
     
    Albert Gothmann hatte nie zu den Menschen gehört, die sich Vorsätze fürs neue Jahr machten, und auch diesmal, an der Schwelle zu 1889 , war das nicht anders. Dennoch nutzte er die Zeit gerne zum Innehalten, und je älter er wurde, desto gründlicher fiel seine Rückschau sowohl auf die unmittelbare Vergangenheit als auch generell auf seinen Werdegang aus. Mit zunehmendem Alter war anstelle des brennenden Ehrgeizes, der ihn in der Jugend angetrieben hatte, jene satte Zufriedenheit getreten, die nur derjenige genießen kann, der genügend Höhen und Tiefen hinter sich gebracht hat. Sie war nicht so berauschend wie spontanes Glück oder Triumphgefühl bei einem unerwarteten Erfolg, aber um vieles verlässlicher, und sie entsprang der Gewissheit, dass er zwar nicht immer Erfolg gehabt, vielmehr manche Rückschläge hatte hinnehmen müssen, aber dass er beharrlich seinen Weg gegangen war und das Bankhaus seines Vaters sicher in die neue Zeit geführt hatte.
    Als Tabitha noch klein war, hatten Bankiers wie er noch von der Industrialisierung profitieren können, hatten in neue Bergwerke und Stahlkochereien investiert, Eisenbahnen und Fabriken. Die Rechnung war ganz einfach: Die Unternehmer brauchten Kapital, und Männer wie er stellten es zur Verfügung. Anders als viele Kollegen hatte er sich jedoch nicht von diesem kurzen Höhenflug täuschen lassen. Als Tabitha seinerzeit ihren ersten Hauslehrer bekam, gerieten viele private Bankhäuser in die Krise, und auch wenn er zu den wenigen Bankiers Frankfurts gehörte, die diese überstanden, hatte ihn die wirtschaftliche Lage oft an den Rand der Verzweiflung getrieben.
    Doch wie so oft hatte er sich nicht von Gefühlen leiten lassen. Diese waren ihm schließlich immer suspekt gewesen, insbesondere, was das Geschäft betraf. Er holte sich alle Mitarbeiter an den Tisch und verkündete mit besonnener Stimme die radikale Neuausrichtung des Bankhauses. Zwei Gefahren musste man künftig trotzen: dass die Stadt- und Kreissparkassen verstärkt im

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